Verdeckte Ermittlerin hatte Schlüssel für Café Flop

Erstveröffentlicht: 
19.05.2016

Bergedorf. Die linke Szene hat erneut eine verdeckte Ermittlerin des Hamburger LKA enttarnt. Sie wurde in Bergedorf eingeschleust.

 

Hamburg..  Es ist der dritte Fall in nur zwei Jahren: Linke Aktivisten haben im Internet Informationen über eine weitere verdeckte Ermittlerin der Hamburger Polizei veröffentlicht und diese nach eigenen Angaben damit enttarnt. Die Beamtin soll laut eines Blog-Eintrags von Ende 2006 bis April 2013 unter dem Tarnnamen „Astrid Schütt“ in der linken Szene aufgetreten sein. Nach der Enttarnung der Ermittlerinnen „Iris Schneider“ und „Maria Block“ nahmen die Linksaktivisten auch die Identität von „Astrid Schütt“ unter die Lupe.

 

Die Under-Cover-Mission begann in Bergedorf

Die Beamtin soll im Jahr 2006 zunächst im Bergedorfer Café Flop aufgetaucht sein, um Kontakte in die linke Szene zu knüpfen. Später ließ sie sich demzufolge Dreadlocks machen und sich sogar rückenfüllend die Fahne der Autonomiebewegung Sardiniens tätowieren.

Bald darauf ist „Astrid Schütt“ auch in linken Stätten in Altona und Harburg in Erscheinung getreten, hat zudem regelmäßig am Plenum der Roten Flora teilgenommen haben. Sie habe auch Kontakt zur Ultra-Szene des FC St. Pauli gesucht und die politische Gruppe „Nella Faccia“ gegründet.

 

Zeitweise saßen zwei Polizeispitzel in der Roten Flora

Die Autoren des Blog-Eintrags sehen die LKA-Beamtin „Astrid Schütt“ als Nachfolgerin der verdeckten Ermittlerin „Iris Schneider“. „Dafür sprechen sowohl der Zeitpunkt, als auch die lange Verweildauer und der Einsatzort der jeweiligen beiden Beamtinnen“, schreiben sie. Beide Polizistinnen seien fester Bestandteil des Projektalltags gewesen und hätten sich ihre „Glaubwürdigkeit langfristig über Jahre erarbeitet“.

Erschrocken zeigen sich die Aktivisten darüber, dass zwei verdeckte Ermittlerinnen gleichzeitig im selben Plenum gesessen haben sollen. „Astrid Schütt“ habe zur selben Zeit wie „Maria Block“ verdeckt ermittelt. „Wie bereits die Vergangenheit gezeigt hat, sind immer mehrere VE in unseren Strukturen unterwegs“, schreiben sie. Doch nicht nur die zeitliche Überschneidung, auch die Arbeit an denselben politischen Feldern überrascht die Aktivisten. Für Proteste gegen den Klimagipfel im Jahr 2009 sollen beide in demselben Wohnprojekt untergebracht worden sein. „Dies ermöglichte den Behörden, eine Ermittlerin notfalls abzuziehen, ohne einen Informationsverlust befürchten zu müssen“, mutmaßen die Aktivisten.

 

Neue Strategie der Polizei bei Tarnidentität

Im Fall der verdeckten Ermittlerin „Iris Schneider“ wurden im August 2015 Ermittlungen und Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie soll sich über ein sexuelles Verhältnis mit einem Linksaktivisten Zugang zum Privatleben mehrerer Menschen verschafft haben.

Auch „Astrid Schütt“ soll in mindestens einem Fall durch das Küssen eines „Genossen“ Verbundenheit zu relevanten Personen der linken Szene angedeutet haben. Erstaunt zeigen sich die Autoren auch darüber, wie viele Details aus dem echten Leben der Polizistin in ihre Tarnidentität eingebaut wurden. Die Polizei habe hier mit neuen Strategien gearbeitet.

In Bergedorf erinnert man sich noch an „Astrid“

Jan Stubben kann es immer noch nicht so recht glauben. Dabei war der Sprecher des selbstverwalteten Jugendzentrums „Unser Haus“ vor vier Monaten einer der ersten, der von der Enttarnung des Polizeispitzels erfuhr. Auch Bergedorfer hatten an der Recherche mitgeholfen und versprochen bis zur Veröffentlichung am Mittwoch dicht zu halten.

„Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Astrid Ende 2006 hier auftauchte“, erzählt der 33-Jährige. „Wir hatten hier eine Antifa-Jugendgruppe mit politischen Diskussionsrunden und Infoveran-staltungen – da wollte sie gerne aktiv mitmachen.“

 

Niemand schöpfte damals Verdacht

Obwohl die damals 24-Jährige, die sich mit ihrem Tarnnamen „Astrid Schütt“ vorstellte, einige Jahre älter war als die restlichen Jugendlichen, wurde sie offen aufgenommen. „Verdacht schöpfte niemand, schließlich war man um jeden Mitstreiter froh, der sich in Bergedorf gegen Nazis einsetzen wollte“, erinnert sich Stubben. Schon kurze Zeit später hatte die verdeckte Polizeiermittlerin einen eigenen Schlüssel für das Jugendzentrum an der Wentorfer Straße.

„Jetzt, wo ich nun weiß, wer sie wirklich ist, ist das ein mega-mieses Gefühl“, erzählt Jan Stubben, der 2009 für sein Engagement in der Jugendarbeit mit dem Bergedorfer Bürgerpreis ausgezeichnet wurde: „Heute fühle ich mich total verarscht. Ich habe sie ja praktisch persönlich in die linke Szene reingebracht.“


Ermittlerin nutzte Bergedorf als Einstieg in die Szene

In der Tat nutzte die Ermittlerin des Hamburger Landeskriminalamtes den Bergedorfer Jugendtreff als Türöffner für ihre Tätigkeit als Under-Cover-Polizistin. „Das ist unglaublich“, findet Jan Stubben deutlich aufgebracht: „Wir sind hier ja nur ein Jugendzentrum für politisch Interessierte und alles andere als ein Treffpunkt der krassen linksextremistischen Szene. Wenn der Staatsschutz schon uns bespitzeln lässt, dann frage ich mich, wie viele Ermittler wohl erst in der Schanze hocken.“

Nach einem internen Streit spaltete sich die Bergedorfer Antifa-Gruppe. Die Polizistin verließ 2007 mit einigen Jugendlichen Bergedorf und ermittelte verdeckt bis Ende 2013 in Altona und Harburg. Stubben: „Sie ist hier nur noch ab und zu bei Veranstaltungen und einer Demo aufgetaucht.“


Polizeisprecher: Übliche Ermittlungsarbeit bei Extremisten

Polizeisprecher Timo Zill bestätigt den Einsatz der Polizistin. Unklar bleibt aber, ob sie als „Verdeckte Ermittlerin“ konkret personenbezogen ermittelte oder als sogenannte „Beobachterin der Lage“ präventiv Szene-Informationen sammelte. Diese Einsatzform ist in Hamburg Ende 2015 nach massiver politischer Kritik eingestellt worden. Zill: „Verdeckte Ermittler aber bleiben ein übliches Instrumentarium polizeilicher Ermittlungen in der Szene linker, rechter oder auch religiöser Extremisten.“

Nach der Enttarnung bleibt für Jan Stubben ein „mehr als ungutes Gefühl“. Er hofft, dass die Szene jetzt nicht in „Paranoia“ verfalle: „Es darf nicht sein, dass jetzt hier jeder jeden misstrauisch beäugt.“