Brennende Autos in Großstädten: Die Täter und ihre Motivation

Hallo Berlin! In der Hauptstadt - hier ein Bild von 2014 aus Kreuzberg - brennen längst nicht mehr nur "Bonzenkarren".
Erstveröffentlicht: 
27.02.2016

Berlin, Hamburg, Bremen: Fast jeden Tag zünden Brandstifter irgendwo Autos an. Inzwischen sind nicht mehr nur Oberklassewagen darunter. Was ist da los?  Von Peter Burghardt, Susanne Höll und Verena Mayer

 

Berlin, in der Nacht zum Donnerstag: Unbekannte zünden Autos an, in dieser Nacht sind es vier Stück, drei brennen aus. Hamburg, vergangene Woche: vier brennende Autos, drei davon verkohlt, ein Wagen halb zerstört, und das im feinen Harvestehude. Oder Heilbronn, Ende Januar: fünf in Brand gesteckte Autos im Industriegebiet. Oder Dresden, vor vier Wochen: elf brennende Autos auf einem Parkplatz, der von Pegida-Demonstranten benutzt wurde.

Die Täter werden selten erwischt, aber ab und zu gibt es Hinweise. In Berlin, zum Beispiel, hat sich vor zwei Wochen das nach einem Hausbesetzer benannte "Kommando Klaus-Jürgen Rattay" im Netz zu Wort gemeldet. Man habe mit "dem Verbrennen überflüssiger Luxusautos" darauf aufmerksam machen wollen, worum es "in dieser beschissenen Stadt" gehe, "nur noch um Aufwertung und Geld" nämlich. Kurz zuvor waren in der Hauptstadt an mehreren Orten Autos angezündet worden.

Dutzende schwer beschädigte oder ausgebrannte Fahrzeuge, verteilt übers ganze Land - und das ist nur die Bilanz der vergangenen vier Wochen. Irgendwo brennt in Deutschland derzeit fast immer ein Auto, ob Audi A8 und Mercedes E-Klasse wie in Hamburg oder normale Mittelklassewagen wie in Dresden oder Berlin.

Warum? Wer sind die Täter? Und gibt es Orte, an denen das Risiko für Autobesitzer größer ist als anderswo?

Ist das Risiko für Autobesitzer an manchen Orten größer als an anderen?

Mit diesen Fragen befassen sich Polizei und Verfassungsschutz seit Langem. Der Ermittlungsstatus: Es ist kompliziert. Nur ein relativ kleiner Teil der Brandstiftungen ist demnach politisch motiviert. In Berlin, wo 2014 laut Statistik 242 Brände gelegt und insgesamt 408 Autos zerstört wurden, hatten 53 Fälle einen solchen Hintergrund. Globalisierung, Gentrifizierung, Rassismus, "irgendetwas ist immer", sagt ein Sprecher der Berliner Polizei. Die Warnung des Polizeipräsidenten Dieter Glietsch aus dem Jahr 2008, man sollte mit einem Porsche nicht in Kreuzberg parken, hat es sogar in die internationale Presse geschafft. In Hamburg ist laut Verfassungsschutz jede fünfte Tat politisch motiviert.

Hanse- und Hauptstadt eint, dass es hier wie dort eine bekannte linksautonome Szene gibt. Der gewaltbereite Kern sei zwar klein und verzeichne immer weniger Zulauf, heißt es beim Berliner Verfassungsschutz. Er falle aber durch "Kleingruppenmilitanz" auf: Sehr wenige Leute würden sich heimlich zu Straftaten verabreden.

So wie an jenem Wochenende im Februar, als sich in Berlin einige Tausend Menschen aus der linken Szene versammelten, um zu demonstrieren. Gegen hohe Mieten, dagegen, dass besetzte Häuser geräumt werden. Es wurde laute Musik gespielt, von Balkonen flogen Silvesterraketen, und dazwischen brüllten Vermummte die versammelte Polizei an. Eigentlich ein normales Berliner Demo-Wochenende. Doch dann brannte es gleich an mehreren Orten, 24 Autos wurden allein in dieser Nacht beschädigt, die Scheiben eingeschlagen. Die Täter, geschätzt 20 bis 40 Leute, gingen gezielt vor, sie waren auf Fahrrädern unterwegs und hatten Spitzhacken dabei. Gefasst hat man bis heute keinen.

Doch meistens kommen bei Autobränden ganz unterschiedliche Brandstifter in Betracht. Leute, die Spuren verwischen, die ihre Versicherung betrügen, der Ex-Frau oder einem Konkurrenten eins auswischen wollen. Manche sind Pyromanen, andere Trittbrettfahrer. In Hamburg könnten, wie die Polizei sagt, jüngst auch "irgendwie fehlgeleitete Jugendliche, die gerne zündeln", am Werk gewesen sein oder "verwirrte Leute, die sich der freiwilligen Feuerwehr anschließen und aus irgendeinem Grund gerne mit Feuer zu tun haben".

Und dann gab es noch den 28-jährigen Berliner André H. Der war arbeitslos und, wie er später sagte, "als Missionar" in der Hauptstadt unterwegs. Er hat im Jahr 2011 allein 102 Autos angezündet. Damals brannte in der Stadt fast jede Nacht irgendwo ein Wagen, und eine Soko "Feuerschein" war mit Helikoptern und Hundertschaften auf der Jagd. Das Motiv: Liebeskummer, Schulden und Frust. Mit seinen Taten habe er "Rekorde brechen" wollen, sagte André H. im Prozess. Was ihm auch gelang: Seither ist die Zahl der Autobrände in Berlin gesunken. Dennoch werde das Phänomen wohl erhalten bleiben, heißt es bei der Berliner Polizei.

Ist das so? Müssen die betroffenen Städte die Autobrände dauerhaft hinnehmen? Folgen einem Zündler stets neue?

Nicht immer. Frankfurt am Main, jahrzehntelang ein Zentrum schwerer, mehr oder minder politisch motivierter Randale, ist heute relativ ruhig. Kein Problem derzeit, bestätigt die Polizei. Kurz vor Weihnachten zündeten Unbekannte vier Wagen einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft an; die Fahndung läuft. Und vor gut einem Jahr, bei der "Blockupy"-Demo gegen die EZB-Zentrale, erlebte die Stadt einen Gewaltexzess, bei dem auch Autos brannten. Aber die Täter waren wohl keine Einheimischen.

Wo Autos schlagzeilenträchtig brennen, finden sich oft Nachahmer

In Hamburg dachte man für eine Weile auch, das Thema "eigentlich überstanden" zu haben, wie eine Sprecherin sagt. Bis 2011 hatten hier Hunderte Fahrzeuge im Jahr gebrannt, darunter die von Unternehmern, Politikern und des früheren Bild-Chefredakteurs. Es war eine Epidemie - die für beendet erklärt worden war, nachdem die Ermittler, genau wie in Berlin, einen Serientäter verhaftet hatten. Doch vorbei ist die Zündelei in der mancherorts so reichen und mancherorts armen Hansestadt genauso wenig wie in den anderen, ja, Brennpunkten im Norden. Beispiel Bremen: Dort gingen erst im Oktober 16 Fahrzeuge in einer Carport-Anlage in Flammen auf, im November brannten mehrere Mannschaftswagen der Polizei. Für letztere Tat machten die Behörden einen psychisch kranken Mann verantwortlich.

Generell gilt, dass schlagzeilenträchtige Brandstiftungen Nachahmungstäter auf den Plan rufen. 2011 waren nicht nur die Serientäter in Berlin und Hamburg unterwegs. Auch im heute so ruhigen Frankfurt und in Südhessen fackelte zu dieser Zeit jemand insgesamt ein gutes Dutzend Autos ab. Die Polizei kann zwar nicht bestätigen, dass die eine Serie etwas mit den anderen Serien zu tun hatte, aber der Verdacht liegt nahe. Am schwersten aufzuklären sind im Übrigen die Brände, die einen politischen Hintergrund haben, da Täter und Opfer in keinerlei Beziehung zueinander stehen. Es kann jeden treffen.


In der linken Szene sind die Zündler keine Helden mehr

Bleibt die Frage: Warum überhaupt Autos? Weil es den Tätern so leicht gemacht werde, vermutet man beim Berliner Verfassungsschutz: "Grillanzünder auf den Reifen, schwupps, und das fackelt." In Hamburg wurden kürzlich Spuren von Brandbeschleunigern gefunden, wie man sie zum Grillen verwendet. Die gibt es überall für ein paar Euro zu kaufen.

Was die Zahl der Autobrände dauerhaft und nachhaltig reduzieren könnte, ist kein neuer Lack und keine neue Fahndungsmethode, sondern womöglich der wachsende Unmut der linken Szene. Denn die Marken der zerstörten Fahrzeuge haben sich verändert. Brannten früher sogenannte Bonzenkarren, so traf es in jüngster Zeit auch Kleinwagen, etwa in Berlin einen VW Polo oder einen Nissan. Wohl auch deshalb will die Mehrheit der Szene mit den Taten nichts zu tun haben. In den Achtzigern, als das autonome Milieu blühte, freute man sich noch klammheimlich, wenn am 1. Mai in Kreuzberg ein Mercedes verkohlte. Heute zeigt man Ablehnung. So notierte kürzlich jemand auf dem linken Portal Indymedia unter einem Bekennerschreiben: "Falls es Euch im Rausch entgangen ist: Ihr habt u. a. auch einen ca. 12 Jahre alten Opel Vectra 'entglast', wahrlich ein Luxusmobil, welches zu allem Übel auch noch meinen Nachbarn, einer kurdischen Familie mit zwei Kindern, gehört. Respekt."