Stuttgart-Feuerbach:Kurdengruppe bekennt sich zu Anschlag

Erstveröffentlicht: 
16.12.2015

Mit einem Eintrag auf einer Internetseite hat sich eine kurdische Jugendorganisation zu dem Brandanschlag auf die türkische Bücherei in Stuttgart bekannt. Die Polizei prüft das Schreiben noch.

Auf der Internetseite rojaciwan.com hat sich am Mittwoch eine kurdische Jugendorganisation zu dem Brandanschlag auf eine Bücherei der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Feuerbach bekannt. Das Baran-Dersim-Rachekommando habe „einen Angriff mit Molotowcocktails gegen die Ditib durchgeführt“, heißt es in dem Schreiben. Die sogenannte Racheaktion richte sich „sowohl gegen die türkische Regierung, die in Kurdistan unsere verwalteten Gebiete hinterhältig angreift, als auch gegen die AKP-Unterstützer in Europa“. Die AKP ist die Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die alle Moscheen und Einrichtungen der Ditib in Deutschland finanziert, so auch jene in der Feuerbacher Mauserstraße.

 

In dem Bekennerschreiben kündigt das selbst ernannte Rachekommando weitere Anschläge gegen die türkische Regierung an, solange der Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, in Isolationshaft sitze: „Wir haben unserem Wort Ausdruck verliehen, dass wir mit jedem vergehenden Tag, an dem unser Anführer standhaft bleibt, unsere Aktionen verstärken werden.“

 

Die Polizei prüft das Bekennerschreiben

Ob das Schreiben echt ist, vermag die Stuttgarter Polizei noch nicht zu beurteilen. „Wir kennen das Dokument und prüfen dessen Inhalt“, sagte Polizeisprecher Olef Petersen am Mittwoch auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei den potenziellen Bekennern in Wahrheit um Trittbrettfahrer handelt, ermittle man weiterhin in alle Richtungen, so Petersen.

 

Bei dem Anschlag in Feuerbach hatten vier vermummte Täter in der Nacht zum Dienstag Molotowcocktails in die Bücherei der Türkisch-Islamischen Union geworfen, die daraufhin komplett ausbrannte. Die Bücherei liegt in unmittelbarer Nähe der größten Moschee der Landeshauptstadt, die – ebenfalls unter der Regie von Ditib – von der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Stuttgart betrieben wird. Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand, es entstand aber ein Sachschaden von 80 000 Euro.

 

36 Anschläge auf Ditib-Moscheen in Deutschland

„Seit 1. Januar gab es in Deutschland 36 Anschläge auf Ditib-Moscheen“, sagt der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Stuttgart, Ismail Çakir. Die Täter seien nie gefasst worden. Trotzdem habe er keine Angst. Seit 43 Jahren lebe er hier und schätze den hiesigen Rechtsstaat: „Ich vertraue der deutschen Polizei. Wir wissen, dass wir nicht alleine sind.“

Tatsächlich erleben die Mitglieder der Türkisch-Islamischen Gemeinde eine Welle der Solidarität. Nachdem Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn bereits am Dienstag ihr Entsetzen über den Anschlag bekundet hatten, erklärte am Mittwoch auch der evangelische Landesbischof Frank Otfried July, dass Gewalt und Hass nichts zu suchen hätten in einem Land, in dem verschiedene Menschen unterschiedlichen Glaubens zusammenlebten. Die Stuttgarter Landtagsabgeordnete Muhterem Aras (Grüne) rief ebenfalls zum Dialog auf: „Jetzt müssen sich die besonnenen Kräfte zusammensetzen. Egal, auf welcher Seite Gewalt entsteht: diese Bewegungen müssen umgehend isoliert werden, damit sie nicht erstarken.“

 

Drei kurdische Vereine distanzieren sich von dem Anschlag

Dies sehen drei namhafte kurdische Organisationen aus der Landeshauptstadt genauso. In einem Schreiben, das am Mittwoch verbreitet wurde, verurteilen die Kurdische Gemeinde Stuttgart, das Demokratische Zentrum der Kurdischen Gesellschaft in Stuttgart und die Gesellschaft gegen Genozid in Dersim 1938 „den Anschlag zutiefst“. Alle drei distanzieren sich „von jeglicher Gewalt, sei es in Deutschland oder in der Türkei, sei es von türkischer oder von kurdischer Seite“. Gewalt führe nie zu einer Lösung, sondern nur zu einer Verschärfung der aktuellen Situation, an der niemand gelegen sein könne. „Als in Stuttgart lebende Kurden hat für uns das friedliches Zusammenleben aller hier lebenden Migrantinnen und Migranten oberste Priorität“, schreiben die Vereine.

 

Die Polizei registriert dagegen durchaus eine Zunahme von Konflikten zwischen Türken und Kurden – auch in Stuttgart. Es sei „erschreckend, mit welcher Brutalität“ sich die beiden Gruppen bei Demonstrationen rund um die Wahlen in der Türkei in diesem Herbst begegnet seien, sagt Polizeisprecher Olef Petersen. Die Gesichter der Demonstranten hätten sich zum Teil in „richtige Hassfratzen“ verwandelt. Bei den Auseinandersetzungen seien zahlreiche Personen verletzt worden – auch Polizisten. Der nun verübte Brandanschlag habe aber eine andere Qualität. „Das hatten wir in Stuttgart noch nicht“, sagt Petersen.

 

Kurdische Mahnwache auf dem Schlossplatz

Mit gemischten Gefühlen blicken alle Beteiligten nun in die nähere Zukunft: Vom 18. bis zum 23. Dezember soll am Kleinen Schlossplatz an jedem Tag von 14 bis 21 Uhr eine Mahnwache abgehalten werden, um die Stuttgarter auf die Situation der Kurden in der Türkei aufmerksam zu machen.