[FR] Straßenumbenennung im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus

Hans-Arno-Joachim-Straße in Freiburg

Im Rahmen der von der Amadeu Antonio Stiftung ausgerichteten Aktionswochen gegen Antisemitismus haben wir heute die Wilhelmstraße – benannt nach dem deutschen Kaiser Wilhelm I. – symbolisch in Hans-Arno-Joachim-Straße umbenannt. Hans Arno Joachim wurde in Freiburg geboren, war als Autor und Publizist tätig und gilt als Pionier des Hörspiels. Er wurde im März 1944 in Auschwitz ermordet.

Am 13. Dezember organisieren wir, ebenfalls im Rahmen der Aktionstage, eine szenische Lesung aus den Tagebüchern des rümänisch-jüdischen Schriftstellers Mihail Sebastian im Stadttheater Freiburg.

 

Wilhelm I.

Wilhelm I. – erster deutscher Kaiser – war Feind der März-Revolution 1848, der badischen Revolution 1849, Befürworter eines autoritativen Polizeistaates und überzeugter Militarist. Im Gespann mit seinem Reichskanzler Otto von Bismarck ging er scharf gegen die erstarkende Arbeiter*innenbewegung vor. Auch den nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches aufkommende moderne Antisemitismus verurteilte er nicht. Der Judenemanzipation begegnete er mit Skepsis.

 

Hans Arno Joachim

Hans Arno Joachim wurde am 3. Mai 1902 in Freiburg im Breisgau geboren. Hier studierte er von 1920 bis 1927 mit Unterbrechungen an der Universität deutsche Philologie. In dieser Zeit schrieb er Gedichte, Erzählungen, entwarf Dramen. 1924 veröffentlichte die Frankfurter Zeitung seinen ersten Essay. Joachim gehörte literarischen Zirkeln an, pflegte Kontakte zu Redaktionen, wurde für Freunde zu einem Mentor. Viel Zeit verbrachte er mit Alfred Kantorowicz und Peter Huchel. Die drei diskutierten in Freiburg nächtelang über Literatur und Philosophie, absolvierten gemeinsam ein mehrmonatiges Selbststudium in Paris und der Bretagne. 1930 zogen sie in eine kleine Wohnung am Berliner Bülowplatz, einem Zentrum der hauptstädtischen Klassenauseinandersetzungen. »Unsere Gespräche hatten ihre Leichtigkeit verloren, waren härter geworden; das anschwellende Heer der Arbeitslosen, der bedrohliche Zuwachs der Nationalsozialisten, die allgemeine Politisierung und Radikalisierung stellten auch uns vor Fragen, denen wir bis dahin ausgewichen waren«, erinnerte sich Kantorowicz später, der sich in dieser Zeit der KPD annäherte.

 

Joachim brachte seine Dissertation zum Abschluß, publizierte Essays über den amerikanischen Gesellschaftsroman und anderes. Er propagierte Feuchtwanger, Glaeser, Kisch, Renn und Zweig. Unter den Manuskripten, die er redigierte, war eine Erzählung Huchels über die Wandlung eines Naziverführten. Huchel und Kantorowicz zogen dann in den »Roten Block« am Laubenheimer Platz in Berlin-Schmargendorf, eine Siedlung des Schriftstellerverbandes. Joachim und seine Ehefrau, die Graphikerin Gerta Aufrichtig, kamen im Nachbarbezirk Steglitz unter. Der Dreibund wurde erweitert um Carola und Ernst Bloch, Fritz Sternberg sowie Gustav Regler und dessen Frau Marieluise, Tochter von Heinrich Vogeler.

 

Am 1. November 1932 wurde Joachims Lichtenberg-Hörspiel »Der Philosoph am Fenster« gesendet und als erstes akustisches Kammerspiel gefeiert. 1933 floh er mit seiner Frau nach Paris. Dort beteiligte er sich an der Gründung des Schutzverbandes Deutscher Autoren (mit Kantorowicz, Anna Seghers, Ludwig Marcuse und anderen Exilanten). Neben der Auseinandersetzung mit dem Faschismus verwandte Joachim sein Können auf die Entwicklung der literarischen Gattung Dokumentardramatik. Er konzipierte einen Hörspiel-Zyklus zu Ulrich von Huttens Streitrede gegen Zensur und Bücherverbrennung, Friedrich Nietzsches Kontroverse mit Richard Wagner und seiner totalitären Musik, Victor Hugos Aufstand im Exil gegen die Diktatur Louis Bonapartes und einigem mehr. Fast durchgängig arbeitete Joachim dabei mit Originalzitaten. Angelegt waren die Dramatisierungen nach seinem egalitären Verständnis vom Widerstreit: öffentliche Verhandlung, Angeklagter, Ankläger, Zeugen, Verteidigung. Die Struktur antiker Dramen. Montiert für den Rundfunk nach Art des Romanciers John Dos Passos, die dieser vom Film adaptierte. Die Hörspielarbeiten von Seghers und Brecht wären ohne Joachim kaum denkbar gewesen. In den 60ern war das von Joachim mitbegründete Genre in allen Medien weltweit durchgesetzt.

 

Er schaffte nach der Besetzung Frankreichs durch die Nazis trotz Hilfen die Flucht nach Amerika nicht. Womöglich hätte sein geplanter Emigrantenroman einen Wink zum Verstehen dieser Tragödie geben können. »Der deutsche Philosoph im Exil. Seine Position ist tragisch«, heißt es im Exposé. »Er muß Deutschland gerade seine Philosophie übelnehmen – ihre gigantische Leistung an Idealismus, die er heute anerkennt: als eine faustische Schurkerei, Schwindel des Geistes, Escamotage der Wirklichkeit, wie sie noch in keinem anderen Land geleistet worden ist. Der Mann muß die Tugenden seines Vaterlandes bekämpfen.«

 

Am 15. Februar 1944 wurde Hans Arno Joachim im besetzten Frankreich von der Gestapo als »Unreiner« verhaftet und zur Nummer 411 auf der »Abschubliste« für den Transport Nr. 70, mit dem am 27. März 1025 Menschen, darunter 109 Säuglinge und Kleinkinder, vom Sammellager Drancy nach Auschwitz verbracht wurden. 125 überlebten. Joachim war nicht darunter.

 

(Text basiert auf dem Artikel von Antonín Dick: „Welcher Antifaschist erfand nochmal die Dokumentardramatik?“, erschienen in der Jungen Welt Ausgabe des 25.Mai 2012)