Die Spionin, die ich liebte

Erstveröffentlicht: 
29.08.2015

In Hamburg sollen zwei verdeckte Ermittlerinnen Sex mit linken Aktivisten gehabt haben. Der zuständige Innensenator räumt aber nur bei einem Einsatz Fehler ein.  von Benjamin Laufer

 

Hamburgs sozialdemokratischer Innensenator Michael Neumann hat sich in den vergangenen Monaten gern als Aufklärer ausgegeben, wenn es um den umstrittenen Einsatz einer verdeckten Ermittlerin in der linken Szene ging. Die Polizistin Iris P. unterwanderte von 2002 bis 2006 unter anderem den Radiosender FSK und queerfeministische Kreise, betrat Privatwohnungen und schlich sich auch auf das Plenum der Roten Flora. Im Herbst 2014 machten dann die Ausgespähten den Fall öffentlich.

Neumann räumte daraufhin Fehler ein und bedauerte den Einsatz öffentlich. "Es ist einiges nicht so gelaufen, wie wir es uns heute vorstellen", sagte er. Der Senator ließ bei Polizei und Verfassungsschutz Tausende Aktenseiten durchsuchen, um die näheren Umstände zu beleuchten. Die Innenrevision seiner Behörde, die er im Juni mit der Untersuchung der Untersuchung beauftragt hatte, bewertet die Recherchen von Neumanns Leuten nun als "plausibel", sie hätten sich "akribisch" durch die Akten gewühlt.

Für Neumann war das einfach, denn politisch zu verantworten hat er zwar die Aufklärung des Falls, nicht aber den Einsatz selbst. In den entsprechenden Jahren waren andere Innensenator, zum Beispiel der heutige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) oder der sonderbare Rechtspopulist Ronald Schill. Neumann konnte immer sagen: Schuld waren die anderen.

 

Erneut verdeckte Ermittlerin enttarnt

Bei "Maria Block" ist das anders. Unter diesem Tarnnamen schlich sich im Juli 2008 eine verdeckte Ermittlerin der Hamburger Polizei in die Szene ein. Jahrelang soll sie sich in der Antira-Kneipe an der Hamburger Hafenstraße engagiert, an Plenen teilgenommen und Veranstaltungen mit organisiert haben.

Angeblich ist B. mit nach Lübeck gereist, um dort einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren und mit nach Griechenland, um an einem flüchtlingspolitischen Camp teilzunehmen. Bei einer Demonstration gegen eine UN-Klimakonferenz in Kopenhagen soll sie sogar verhaftet worden sein. Wie betroffene Aktivisten nun im Internet publik machten, soll Maria B. dabei auch häufig Privatwohnungen betreten sowie Freundschaften und mindestens ein sexuelles Verhältnis eingegangen sein.

Der Einsatz von B. dauerte bis Ende 2012 an – und fällt damit auch in die Amtszeit von Innensenator Neumann. Am Freitag im Innenausschuss der Bürgerschaft vom Parlament um seine Einschätzung gebeten, verliert er selbst aber nur wenige Worte zu dem neuen Fall, sondern überlässt Polizeipräsident Ralf Meyer das Reden.


Täuschung immanent

Der sagt, die Staatsanwaltschaft habe den Einsatz damals genehmigt, die Auslandseinsätze seien von multilateralen Abkommen gedeckt gewesen und das Betreten von Wohnungen sei verdeckten Ermittlern nun mal erlaubt: "Einem Einsatz eines verdeckten Ermittlers ist es geradezu immanent, zu täuschen und List anzuwenden, um Informationen zu erlangen." Eine Debatte über moralische Probleme kommt gar nicht erst auf. Für eine sexuelle Beziehung der Beamtin in ihrer Rolle als "Maria Block" gebe es keine konkreten Hinweise, und schließlich gelte auch für sie die Unschuldsvermutung, sagt der Polizeipräsident.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes erhebt aber Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar. Er befürchtet, die Polizei könnte ihre Kompetenzen überschritten und ungerechtfertigt Geheimdienstmethoden angewendet haben. Darf ein Einsatz zur Abwendung von Gefahren, wie der von "Maria Block", länger als vier Jahre dauern? "Da sind einige Punkte, die wir uns noch einmal angucken werden", sagt Caspar.


Erlaubnis vom Staatsanwalt

Innensenator Neumann gibt sich davon unbeeindruckt. Er redet lieber über den Einsatz von Iris P., für den er selbst kaum mehr mit Kritik rechnen muss. Und er prescht nach vorne: Den Handlungsempfehlungen, die seine Innenrevision ausgesprochen hat, will er allen folgen. "Der Polizeipräsident hat heute den Auftrag bekommen, die 17 Empfehlungen der Innenrevision eins zu eins umzusetzen", sagt Neumann. Auf die Aufklärung folgt die Reform.

Das bedeutet auch, dass es sogenannte "Beamte für Lagebeurteilung" (BfL) in Zukunft in Hamburg nicht mehr geben soll. Als solche hatte Iris P. verdeckt ermittelt, ohne dass die Polizei Staatsanwälte oder gar Gerichte um Erlaubnis hätte fragen müssen. "Dieses polizeiliche Instrument darf nicht länger zum Einsatz kommen, es muss aus dem Gesetz gestrichen werden", hatte die Linksfraktionsabgeordnete Christiane Schneider nach der Enttarnung von Maria B. gefordert. Dass Neumann genau das zwei Tage später umsetzt, überrascht am Freitagabend nicht nur Schneider.


Feministinnen wohl nicht Ziel der Ermittlungen

Der Undercovereinsatz von "Iris Schneider" lässt sich inzwischen immer genauer nachvollziehen. Die feministische Szene sei nicht das Ziel gewesen, gibt die Innenrevision nach der Lektüre von Akten des Bundeskriminalamts zu Protokoll. Es gebe "keine Hinweise auf staatliches Interesse" an solchen Gruppen. Vielmehr hätte sich eine einzelne Zielperson in den ausgespähten Kreisen bewegt. Dass die verdeckt arbeitende Polizistin selbst homosexuell war, sei im Landeskriminalamt nicht bekannt gewesen.

Unter anderem deswegen kritisiert die Innenrevision die Führung der Ermittlerin durch ihre Vorgesetzten als "zu lasch". P. habe ihre "Kompetenzen wiederholt deutlich überschritten, ohne dass die VE-Führer eingeschritten wären". Als BfL habe sie weder die Rote Flora noch die FSK-Redaktion betreten dürfen. Die vielen Überstunden, die P. angesammelt hatte, wären ein Indiz für eine mögliche Liebesbeziehung gewesen, die die Beamtin unter der Legende "Iris Schneider" geführt haben soll. Gerade bezüglich dieses Vorwurfs sieht die Revision noch Ermittlungsbedarf. Allerdings: "Einzelne Sachverhalte werden sich nicht mehr abschließend klären lassen. Das ist unbefriedigend."

Die juristische Aufarbeitung des Einsatzes von Iris P. lässt weiter auf sich warten. FSK-Rechtsanwalt Ralf Ritter wartet noch immer auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs darüber, ob der Generalbundesanwalt ihm die Einsicht in die Ermittlungsakten verwehren durfte. Bei einem ähnlichen Fall hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe erst am Mittwoch "erhebliche Zweifel" daran geäußert, dass der verdeckte Ermittler mit dem Tarnnamen "Simon Brenner" Heidelberger Studenten ausforschen durfte.