Von Antje Meier Sachsen - Proteste vor Flüchtlingsheimen, Anschläge mit Sprengstoff und Brandsätzen – der Hass auf Asylbewerber scheint in Sachsen größer zu werden. Ausreichend Arbeit also für das Operative Abwehrzentrum (OAZ). OAZ-Chef Bernd Merbitz (59) sprach mit MOPO24 über den wachsenden Extremismus.
MOPO24: Herr Merbitz, wo „brennt“ es gerade bei Ihnen?
Bernd Merbitz: Wir
sind momentan sehr intensiv in die Ermittlungen zum Brandanschlag auf
die Asylbewerberunterkunft in Meißen eingebunden und zum
Sprengstoffanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Freiberg.
MOPO24: Man hat den Eindruck, Anschläge auf Flüchtlingsheime nehmen zu.
Bernd Merbitz: Statistisch
gesehen haben wir eine Zunahme. Wir haben im ersten Halbjahr 2015
bereits 42 Angriffe verzeichnet. Davon waren vier Gewaltdelikte. Das
hängt aber auch damit zusammen, dass es mehr Heime in Sachsen gibt.
MOPO24: Das OAZ wurde in Folge des NSU-Skandals gegründet. Müssen wir wieder mit solchen Gewalttaten rechnen?
Bernd Merbitz: Moment!
Wir wollen diese verhindern! Wir sind bestrebt, dass so etwas nie
wieder entsteht. Oder wir das frühzeitig erkennen und darauf reagieren
können.
MOPO24: Aber es brodelt im Freistaat. Ist die Polizei dem Kampf gegen Rechts gewappnet?
Bernd Merbitz: Natürlich!
Wir wissen, dass wir in vielen Fragen der polizeilichen Arbeit wie
Kriminalität, Asylbewerberheime, Pegida, Legida und Fußball ans Limit
gekommen sind. Da müssen wir uns ernsthaft Gedanken machen. Aber nicht
ohne Grund wurden die Ausbildungsplätze von 300 auf 400 erhöht. Außerdem
wird eine Kommission eine Evaluierung durchführen. Dann wissen wir: Ist
das machbar mit dieser Polizei, brauchen wir mehr Personal oder müssen
wir die Struktur ändern.
MOPO24: Ein Polizeigewerkschaftler meinte im Deutschlandfunk, das OAZ sei zum Teil Symbolpolitik. Ziehen Sie sich den Schuh an?
Bernd Merbitz:
Unser Anliegen war es immer, keine Symbolpolitik zu betreiben, sondern
reale Tatsachen zu schaffen im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Wenn
ich mir die Zahlen anschaue, haben wir 2014 exakt 292
Ermittlungsverfahren bearbeitet, davon 218 geklärt. Eine
Aufklärungsquote von 75 Prozent. Von den 42 Fällen in diesem Jahr haben
wir 23 aufgeklärt und Täter ermittelt. Wir geben keinen Fall auf! Was
heute nicht gelöst wird, lösen wir morgen.
MOPO24: Erleben wir gerade einen Rechtsruck in Sachsen?
Bernd Merbitz:
Ich verstehe nicht, warum man Menschen, die Hilfe suchen,
diskriminiert. Es sind viele Familien dabei. Die brauchen unsere Hilfe
und haben es nicht verdient, aufs Übelste beschimpft zu werden. Doch als
einen Ruck nach rechts möchte ich es nicht bezeichnen. Das würde
bedeuten, dass die Gesellschaft nach rechts rückt. Doch ein Teil hat ja
Verständnis für die Flüchtlinge. Das ist eine Aufgabe, der wir uns alle
stellen müssen.
MOPO24: Wie tief ist der braune Sumpf?
Bernd Merbitz:
Es wird immer Menschen geben, die ihre eigene Ideologie haben, die von
rechtsextremem bis nationalsozialistischem Gedankengut geprägt ist. Ich
vergleiche das lieber mit einem Fruchtgetränk. Das hat etwas Bodensatz.
Wenn man die Flasche schüttelt, verschwindet der in der Masse.
MOPO24: Zuletzt gab es auch schwere Angriffe von Links in Leipzig.
Bernd Merbitz:
Ja, ich denke da an das Amtsgericht, wo Hunderte durch die Stadt
gezogen sind und Sachbeschädigung an Polizeiautos begangen haben. Oder
am 5. Juni, als mit Pflastersteinen gegen die Polizei vorgegangen wurde.
Das macht mich nachdenklich, wenn man das Leben eines Polizisten in
keinster Weise mehr wertschätzt. Der Polizei wird immer vorgeworfen, sie
würde zu hart vorgehen.
MOPO24: Kann man sagen: Rechte oder Linke sind gefährlicher?
Bernd Merbitz:
Für mich ist beides gefährlich, sobald Gewalt ins Spiel kommt. Da mache
ich keine Unterschiede. Aber man muss in aller Deutlichkeit sagen: Wir
können immer noch froh sein, dass es in der Gesellschaft nicht der
überwiegende Teil ist, der Gewalt ausübt.
Bei Nazis kennt er kein Pardon
Bernd Merbitz gilt als Sachsens „Nazi-Jäger“. Denn der gebürtige Thüringer hat dem Rechtsextremismus den Kampf angesagt.
So leitete er 1991 bis 1998 die Abteilung Polizeilicher Staatsschutz beim Landeskriminalamt Sachsen, gründete in dieser Zeit auch die Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex).
2007 wurde er Landespolizeipräsident. Zwei Jahre später erhielt er für sein Engagement den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrates der Juden.
Seit 2012 leitet er nun die Polizeidirektion Leipzig, seit 2013 auch das Operative Abwehrzentrum. Es wird gemunkelt, dass Innenminister Markus Ulbig seinen CDU-Kollegen wegen persönlicher Differenzen degradierte.
Ein Schwerpunkt sind die Angriffe auf Heime
Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) wurde 2013 gegründet – infolge des
NSU-Skandals. Der hatte offenbart, dass jahrelang Rechtsterroristen
unerkannt in Sachsen leben konnten.
Das Hauptaugenmerk liegt
deshalb auf der Bekämpfung des Rechtsextremismus im Freistaat. Aber auch
zu linksextremistischen Straftaten wird ermittelt. Derzeit gehören aber
vor allem Angriffe auf Flüchtlingsheime sowie Drohungen gegen
Mandatsträger zur Ermittlungsarbeit der zirka 120 Mitarbeiter.
Um
flächendeckend arbeiten zu können, verfügt das OAZ über regionale
Ermittlungsabschnitte in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Görlitz und
Zwickau. Es verfügt zudem über ein mobiles Einsatzkommando.
Ermittlungserfolg: Das OAZ wirkte an der Zerschlagung der Neonazi-Terrorgruppe „Oldschool Society“ (OSS) in diesem Jahr mit.