Europäischer Datenfall: Diese Daten gaben europäische Polizeibehörden beim „1. Europäischen Mauerfall“ weiter

Erstveröffentlicht: 
10.02.2015

Im November 2014 veranstaltete das Zentrum für Politsche Schönheit (ZPS) die nicht ganz unumstrittene Kunstperformance „Erster Europäischer Mauerfall“ (Empfehlung: Vortrag Mit Kunst die Gesellschaft hacken beim 31C3), welche von den (Grenz-)Polizeien der beteiligten Staaten zunächst argwöhnisch beobachtet, dann stellenweise kriminalisiert und schließlich verhindert worden war. Die Antwort auf eine IFG-Anfrage zeigt jetzt in ersten Zügen, wie eng verflochten die Datenflüsse zwischen den verschiedenen Polizeibehörden damals waren und wer den Einsatz von Deutschland aus maßgeblich gesteuert hat: die Staatsschutzabteilung des BKA.

Ein Gastbeitrag von Hauke Schwedler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISE.


Ausgangslage

Bisher waren nur relativ wenige Details über die Koordinierung polizeilicher Maßnahmen und die damit verbundenen europäischen Datenflüsse bekannt, denen die Künstler_innen und Aktivist_innen bei der Performance „Erster Europäischer Mauerfall“ ausgesetzt waren. Lediglich die Antwort auf eine schriftliche Anfrage im Bundestag umriss grob die grundrechtlichen Problematiken:

  • Übermittlung der Reisedaten durch die Bundespolizei an Bulgarien, Rumänien, Serbien, Ungarn, Griechenland und Kosovo
  • Einschaltung des Bundeskriminalamts wegen des Verdachts auf Straftaten und Einbeziehung der BKA-Verbindungsbeamten in Bulgarien und Griechenland

Eine an das Bundeskriminalamt (BKA) gerichtete IFG-Anfrage zeigt jetzt ein differenziertes Bild.

 

Informationen beim BKA

Die Chronologie der Korrespondenz des BKA mit in- und ausländischen Stellen geht sehr detailreich aus den Dokumenten hervor (PDF):

1. E-Mail der BKA-Verbindungsbeamtin Bulgarien (Sofia) vom 07.11.2014 um 11:36 Uhr an das Referat „Verbindungsbeamtenwesen“ (IK13) der BKA-Abteilung „Internationale Koordinierung“ (Berlin) mit dem Betreff „GESCHWÄRZT – für ST – Hinweis auf geplante Aktion an den EU-Aussengrenzen“:

 

Beigefügte Information wird mit der Bitte um zeitnahe Steuerung an ST übersandt: Die SANS wies mich soeben auf einen Link im Internet hin, in dem für den 08.11.2014 zu einer Aktion „Abbau der illegalen EU-Außengrenzen“ aufgerufen wird. Siehe Anlage.

Es wird um zeitlich dringende Einschätzung zur Gefährdungssituation gebeten!

Sind Reiseplanungen von Aktionsgruppen bekannt? Sind die benannten Initiatoren der Aktion polizeiliche bekannt?

Können Informationen zum Personenkreis und zum Gewaltpotential der Organisation übermittelt werden?

Es wird um unverzügliche Antwort gebeten.

 

2. Diese E-Mail wurde anschließend an die BKA-Abteilung „Staatsschutz“ (ST) „zur Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung“ weitergeleitet.

 

3. Antwort des BKA-Staatsschutzreferates ST11 (Meckenheim) vom 07.11.2014 um 12:40 Uhr an das Referat IK13 der BKA-Abteilung „Internationale Koordinierung“ (Berlin) mit dem Betreff „141107 an VB BUL – Hinweis auf gepl Sachbeschädigungen.doc“ und der „Bitte um Steuerung“ an die Verbindungsbeamten in Bulgarien und Griechenland; das im Betreff genannte Office-Dokument war in der IFG-Antwort des BKA leider nicht enthalten.

 

4. E-Mail der BKA-Verbindungsbeamtin Bulgarien (Sofia, Deutsche Botschaft) vom 07.11.2014 um 14:09 Uhr an das BKA-Staatsschutzlagezentrum (Meckenheim) mit dem Betreff „GESCHWÄRZT – für ST-Lagezentrum – Hinweis auf gepl Sachbeschädigungen an den EU-Aussengrenzen; GESCHWÄRZT“:

 

Betr: GESCHWÄRZT – Informationsaustausch in Staatsschutzangelegenheiten; hier: Anreise einer Aktivisten-Gruppe von Berlin nach Bulgarien; Abfahrt 07.11.2014, 13:00 Uhr

Im beigefügten Bezugsschreiben ST11 wird mitgeteilt, dass örtliche Polizeibehörden Abfahrtkontrollen durchführen und Erkenntnisse nachsteuern. Sobald diese beim BKA eintreffen, bitte ich aus Gründen der Eilbedürftigkeit, nicht nur IK13 zu beteiligen, sondern VB-Sofia auch ‚cc‘ direkt anzuschreiben, da die bulgarischen Sicherheitsbehörden für die vorgesehene Einsatzmaßnahmen zeitnahe Informationen zu Zeitpunkt der Abfahrt, Fahrzeugen, Größe des Konvois, Personenzahl, Bewaffnung, Verhalten sowie zu weiteren vorliegenden polizeilichen Erkenntnissen zu Mitreisenden u.ä. benötigen.

Ich bitte darüber hinaus um telefonische Vorab-Information unter der Mobil-Nr: GESCHWÄRZT, sobald Erkenntnisse eingehen.

Vielen Dank im Voraus,

 

5. E-Mail des BKA-Staatsschutzlagezentrums vom 07.11.2014 um 20:29 Uhr an die Verbindungsbeamten in Bulgarien (Sofia) und Griechenland (Athen) mit dem Betreff „141107 SOF184/14 – 141107 – für ST-Lagezentrum – Hinweis auf gepl Sachbeschädigungen an den EU-Aussengrenzen; GESCHWÄRZT“:

 

Guten Tag nach Sofia, Guten Tag nach Athen,

ich beziehe mich auf die am Abend des 07.11.14 geführten Telefongespräche. Beiliegend übersende ich das thematisierte Fernschreiben des LKA Berlin zur Abfahrtsüberwachung in Berlin.

 

6. Das LKA Berlin (dort Abteilung 5 – Staatsschutz) hatte per Fernschreiben („EPOST-Nachricht“) am 07.11.2014 um 19:12 Uhr mit Betreff „Ankündigung der Beschädigung von Grenzanlagen in Griechenland und Bulgarien am 09.11.2014″ einen umfangreichen Bericht (6 Seiten) geliefert, in dem neben der „Lage“ (zwei Strafermittlungsverfahren eingeleitet), dem Verlauf der „Abfahrtsüberwachung“ („Reiseziel Varna/Bulgarien wird bestätigt durch Kontaktaufnahme mit Busfahrer“, „Abschluss der Durchsuchungsmaßnahmen mit dem Ergebnis, dass keinerlei relevante Werkzeuge mitgeführt werden“) der „Abfahrtsüberwachung“ und einer „Bewertung“:

 

Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte für eine von der als „Kunstaktion“ bezeichneten Reise ausgehenden Gefahrenlage vor.

 

Interessant ist noch, dass als zuständiger „Polizeiführer“ (PF) ein namentlich geschwärzter Beamter des LKA 521 agiert, das in Berlin für „politisch-motivierte Kriminalität – links“ zuständig ist. Außerdem hatte diese Behörde offenbar bereits am 07.11.2014 um 09:16 Uhr eine über das LKA Niedersachsen (Hannover) „gesteuerte Nachricht“ der Polizeiinspektion (PI) Lüneburg erhalten, wo „per E-Mail der Hinweis auf die Internetseite“ und „geplante Straftaten im Ausland“ am 06.11.2014 um 17:07 Uhr gemeldet worden sind. Das LKA Hannover kommt darin zu folgender Einschätzung:

 

Über die Initiatoren der Aktion in Form des „Zentrums für politische Schönheit“ bzw. der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit“ mit Sitz in Berlin liegen hier keine Erkenntnisse vor. Es dürfte sich nicht um eine der linken Szene zurechenbare Gruppierung, sondern um eine Vereinigung für politische Aktionskunst zu handeln, die zurückliegend bereits ähnliche (Kunst-)Aktionen durchgeführt hat.

Laut Internetseite des „Zentrums für politische Schönheit“ unter http://politicalbeauty.de/index.html stehen die geplanten Beschädigungen der Grenzanlagen im Zusammenhang mit dem Entwenden von sieben Gedenkkreuzen für Mauertote am 03.11.2014 in Berlin, wozu eine „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ eine Selbstbezichtigung im Internet verbreitete. Zur Thematik gibt es bereits ein breites Echo in bürgerlichen Medien.

 

Warum der Berliner Staatsschutz dennoch eine politische Einordnung in Richtung links vorgenommen hat, bleibt jedoch – wie häufig – im Dunkeln.

 

7. E-Mail des BKA-Verbindungsbeamten Griechenland (Athen) vom 10.11.2014 um 14:38 Uhr an das BKA-Staatsschutzreferat ST11 mit dem Betreff „GESCHWÄRZT – Störaktion an der EU Außengrenze“:

 

Nachfolgend übersende ich eine kurze Zusammenfassung des aktuellen Sachstandes in Griechenland, die durch den hiesigen VB der BPol soeben an das Bundespolizeipräsidium übermittelt wurde.

Wie bereits telefonisch mitgeteilt, wurde der Ursprungssachverhalt durch mich am vergangenen Freitag der hiesigen Staatsschutzdienststelle zur Kenntnis gegeben, die die zuständigen Behörden in Griechenland informiert hat. Übernommen wurde der Sachverhalt u.a. durch die zuständige Grenzpolizei, die in Kontakt mit dem hiesigen VB der BPol steht. Bisher liegen keine Kenntnisse zu etwaigen Straftaten der nach Griechenland gereisten deutschen Staatsangehörigen vor.

Sollten sich relevante Erkenntnisse ergeben, werde ich entsprechend nachberichten; ansonsten ist von Fehlanzeige aufzugehen.

 

Der Mitteilung war eine Meldung des Verbindungsbeamten der Bundespolizei in Griechenland vom 10.11.2014 (Zeitverschiebung 1h) beigelegt, in der dieser an das Bundespolizeipräsidium (Potsdam) unter dem Betreff „Störkation an der EU Außengrenze“ berichtet:

 

Bezug nehmend auf die bisherige Berichterstattung durch GVB SRB und GVB BGR bitte ich um Kenntnisnahme des folgenden Sachstandes, der mir durch GRC Polizei übermittelt wurde:

Die in Rede stehende Gruppe ist am gestrigen Abend mit insgesamt -82- Personen über den Grenzübergang Ormenio nach GRC eingereist. Die Personen sind in vier Hotels in Alexandroupolis untergebracht und beabsichtigen laut GRC Polizei von dort nach Orestiada zu fahren, um im Grenzgebiet zur TUR Protestaktionen durchzuführen. Laut Mitteilung in facebook (Zentrum für politische Schönheit) von heute Nachmittag, beabsichtigt die Gruppe eine weitere Übernachtung in GRC.

GRC Polizei hat die Personengruppe darüber informiert, dass durch die zuständigen Behörden in Orestiada ein Demonstrationsverbot erlassen worden ist. Sollte es zu Verstößen kommen, werde GRC Polizei entsprechende Maßnahmen zur Unterbindung ergreifen. Darüber hinaus verwies GRC Polizei darauf, dass ein Betreten des unmittelbaren Grenzgebietes zur TUR (Annäherung an den Grenzzaun) unterbunden werde, da es sich um militärisches Sperrgebiet handelt. Der Sachverhalt ist in GRC bisher nicht medienwirksam.

 

Darüber hinaus gibt es eine „Gesprächsnotiz“ des Staatsschutzes vom 10.11.2014 mit dem BKA-Verbindungsbeamten in Athen, in der notiert ist:

 

Die beiden von den Berliner Behörden gemeldeten Busse (Abfahrtkontrolle ohne strafrechtlich relevante Erkenntnisse) wurden von den griechischen Behörden bei der dortigen Einreise festgestellt, erneut durchsucht und danach begleitet.

Es kam in der Folge zu keinen Straftaten.

Der VB der BPol wird einen entsprechenden Bericht für das BPolP fertigen und der BKA-VB wird ST 11 am Ausgang beteiligen lassen – als schriftliche Dokumentation, dass es zu keinen Straftaten kam.

 

Schließlich existiert noch ein genauer Bericht der BKA-Verbindungsbeamtin Bulgarien (Sofia), der per E-Mail am 14.11.2014 um 09:03 Uhr an den Staatsschutz (ST11) mit Betreff „GESCHWÄRZT – deutsche Aktivistengruppe am EU-Grenzzaun in Bulgarien“ gesendet worden ist:

 

Beigefügte Mitteilung der SANS – Abteilung Staatsschutz – zu Personen aus Deutschland (sowie 1 Niederlande, 3 Polen, 1 USA), die im Zusammenhang mit der Demonstration/Aktion am 09.11. an den bulgarisch-türkischen Grenzanlagen nach Bulgarien eingereist sind, wurde heute überreicht und wird zur Kenntnis und weiteren Verwendung übermittelt.

(Person an Position 4 der Liste hat ein niederländisches Dokument mitgeführt, Personen an Position 5, 15, 24 haben polnische Dokumente mitgeführt, Person an Position 16 hat US-Dokument mitgeführt)

Hinweise zum Verständnis der mitgeteilten Daten:

  1. Einreise Autobus GESCHWÄRZT am 08.11. um 22:20 Uhr nach Bulgarien – Namen der Einreisenden – Nummern der Identitätspaiere – Ausstellungsland – Geburtsdatum der jeweiligen Person […]
    Ausreise Autobus GESCHWÄRZT am 09.11. um 19:27 Uhr nach Griechenland – Namen der Ausreisenden – Nummern der Identitätspaiere – Ausstellungsland – Geburtsdatum der jeweiligen Person
  2. Einreise Autobus GESCHWÄRZT am 08.11. um 22:54 Uhr nach Bulgarien- […]
    Ausreise Autobus GESCHWÄRZT am 09.11. um 19:27 Uhr nach Griechenland – […] Vermutlich im Zusammenhang stehende Fahrzeuge/Personen
  3. Einreise PKW GESCHWÄRZT am 08.11. um 15:40 Uhr nach Bulgarien – […]
    Ausreise PKW GESCHWÄRZT am 09.11. um 20:02 Uhr nach Griechenland – […]
  4. Einreise PKW GESCHWÄRZT am 08.11. um 20:59 Uhr nach Bulgarien – […]
    Ausreise PKW GESCHWÄRZT am 10.11. um 17:36 Uhr nach Serbien – […]

 

Diesem Bericht sind dann die oben erwähnten Listen mit personenbezogenen Daten (in geschwärzter Form) beigefügt, wobei sowohl die Automarken als auch eine Fahrzeugidentifizierungsnummer („VIN“) erfasst worden sind.

 

Fazit

Das Beispiel „Erster Europäischer Mauerfall“ zeigt anschaulich, wie viele Informationen und personenbezogene Daten bei solchen Aktionen zwischen europäischen Polizeibehörden ausgetauscht werden. Dabei handelt es sich hier gerade nicht um einen besonderen Einzelfall. Dieses Vorgehen ist seit Jahren gängige Praxis bei grenzüberschreitenden politischen Protesten. Das erklärt vielleicht auch die aus der obigen Korrespondenz deutlich gewordene Steuer- und Sammelfunktion des BKA-Staatsschutzreferates ST 11 („Zentralstelle -links-, Auswertung, Analyse, Früherkennung“), dessen fragwürdige Rolle in anderem Kontext auf netzpolitik.org bereits thematisiert worden ist. Die Tatbeiträge der Bundespolizei wird hoffentlich eine weitere IFG-Anfrage ans Licht bringen.

 

Die von der polizeilichen Speicherung betroffenen Personen können sich jedoch vermutlich glücklich schätzen, dass ihre personenbezogenen Daten diesmal nicht über die „Police Working Group on Terrorism (PWGT)“ in etliche andere Länder und an Geheimdienste übermittelt worden sind, wie es zum Beispiel für die Proteste beim „No Border Camp“ 2010 in Brüssel belegt ist. Ein Antrag auf Auskunft und anschließende Löschung ist deshalb vielleicht sogar erfolgreich, da offenbar nur Deutschland und Bulgarien involviert waren.

PS: OB-Kandidaten mit einem „Extremismusbild“ wie der Inlandsgeheimdienst müssen sich eigentlich sowieso keine Sorgen machen. (Links gehen zu F***book)