Ruhe nach dem Sturm im Asylbewerberheim Pittlerstraße in Leipzig-Wahren

Erstveröffentlicht: 
10.04.2015

Leipzig. Ein Wohnblock in Leipzig-Wahren. Ordentlich aneinander gereiht stehen die Mülltonnen im Vorgarten. Der eingezäunte Garten hinter dem Haus schirmt sich mit einem kleinen Wall gegen den Lärm der benachbarten Georg-Schumann-Straße ab. Eine Schaukel wartet auf spielende Kinder. Das Flüchtlingsheim fügt sich ein in die beschauliche Pittlerstraße. Nichts erinnert an die Proteste bis zur Eröffnung vor einem Jahr.

 

Gitta Sauper kann sich noch gut an den Proteststurm erinnern, der damals über das Viertel hinweg zog. An die Demonstrationen und die scheinbar unversöhnlichen Meinungen. "Auch wir haben damals gegen das Asylbewerberheim unterschrieben", sagt die Seniorin. Sie und ihr Mann hätten Angst gehabt vor dem, was da auf sie zukommen sollte. Ganz warm geworden ist Gitta Sauper immer noch nicht mit dem Flüchtlingsheim. Aber: "Bei uns Anwohnern ist das ganze eigentlich kein Thema mehr."

Tomas Röder sitzt in seinem Büro in der Pittlerstraße. Er ist Sozialarbeiter im Flüchtlingsheim. Und so etwas wie das Mädchen für alles. 36 Bewohnern bietet die Einrichtung maximal Platz. In den Zwei-Raum-Wohnungen leben fast ausschließlich Familien. Die Namen ihrer Herkunftsländer spiegeln die Krisenherde rund um Europa: von Syrien, Libanon und Libyen bis zum Kosovo und Tschetschenien.

Zusammen mit einem Sicherheitsbediensteten und einem Hausmeister ist Röder, der beim privaten Dienstleister European Homecare angestellt ist, für die Unterkunft verantwortlich. Die meisten Flüchtlinge sind nur für kurze Zeit hier, bis eine dezentrale Unterbringung gefunden ist. In Röders Büro herrscht viel Betrieb. Oft geht es um Alltagsprobleme: Wie funktioniert der Geldautomat, wie die Mülltrennung? Aber Röder sucht auch nach Wohnungen für die Flüchtlinge.

Einer von ihnen ist der 25-jährige Amin Goddar aus dem Libanon. "Ich mag Deutschland gerne", sagt er auf Englisch und berichtet vom Chaos in seiner Heimat. Von Bombenanschlägen und Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen. Im Libanon hat Goddar Logistik studiert. Jetzt hofft er hier auf eine Anerkennung seines Abschlusses und auf ein besseres Leben als in seiner Heimat.

Flüchtlingen wie Goddar bei den kleinen und großen Problemen beim derzeitigen Leben in Deutschland zu helfen - eigentlich schon viel Arbeit für Sozialarbeiter Röder. Doch er ist sich sehr wohl bewusst, welche Kontroversen es vor Eröffnung der Unterkunft gab - und sieht seine Aufgabe deshalb auch in der Kommunikation mit den Anwohnern in Wahren. "Wir müssen miteinander reden und Kritik auch offen ansprechen", betont er. Der Kontakt mit der Bürgerinitiative Leipzig-Wahren steht. Die Bürgerinitiative hatte sich vor knapp drei Jahren gegründet, kurz nachdem bekannt wurde, dass in der Pittlerstraße ein Asylbewerberheim entstehen soll. Es folgten die Proteste, die auch von der NPD instrumentalisiert wurden.

Für Annett Baar, die Vorsitzende der Bürgerinitiative, ist das Vergangenheit. Auch sie lobt die Zusammenarbeit mit Röder. "Es ist eine ehrliche Kommunikation zwischen uns. Wenn es Probleme gibt, gehen wir direkt hin und sprechen das an. Das entschärft die Situationen", sagt sie. Ihr gehe es vor allem darum, Ängste und Sorgen der Anwohner abzubauen. Baar äußert aber auch Kritik. Probleme würden zwar angesprochen, doch: "Im Grunde leben wir nebeneinander her. Nicht nur Anwohner und Flüchtlinge. Wir bräuchten generell mehr Gemeinschaftsflächen. Dies würde die Integration fördern", so Baar.

Um eine gute Integration bemüht sich in Wahren Pfarrer Michael Günz von der evangelischen Sophienkirchgemeinde. Gerade wegen des ganzen Wirbels vor der Eröffnung des Asylbewerberheimes engagiert er sich für eine Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen. Regelmäßig lädt die Gemeinde sie ein. "Dabei ist schon viel entstanden. Die Flüchtlinge haben beim Kirchenputz geholfen und einen Spielplatz mit aufgebaut", bilanziert der Pfarrer. Er sieht inzwischen keine Probleme mehr rund um die Pittlerstraße. Zumindest nicht solche, die sich nicht lösen ließen. "Die Anwohner haben inzwischen mitbekommen, dass das einfach Menschen sind", sagt er. "Für mich ist das jetzt eine gute Willkommenskultur."

Genau ein Jahr, nachdem die ersten Flüchtlinge in die Pittlerstraße gekommen sind, scheint sich die Situation also sichtlich beruhigt zu haben. Auch durch Legida habe sich die Stimmung nicht weiter aufgeheizt, so Sozialarbeiter Röder. "Wir sind hier in der Pittlerstraße angekommen und gehören dazu", sagt er. Und Nadine Krieger, die direkt neben der Unterkunft wohnt und in der Gegend immer mit ihrem Hund spazieren geht, blickt nur erstaunt bei der Frage nach Protesten. "Ich wohne erst seit ein paar Monaten hier. Aber Probleme gibt es da gar keine", sagt sie.

In der Pittlerstraße haben sich die Wogen geglättet. Laut Annett Baar habe die Stadt inzwischen dazu gelernt. "Inzwischen wird früher und besser informiert", sagt sie und fügt noch hinzu: "Vor der Eröffnung der Unterkunft gab es hier mehr Kriminalität als jetzt".

Und Anwohnerin Gitta Sauper sagt: "Für uns ältere Leute ist es immer schwierig, sich auf Neues einzustellen. Aber ich sehe auch: Bei den jungen Leuten ist das heute alles gar kein Problem mehr."