Libyen und Jemen - Zwei Staaten bewaffneter Banden

Erstveröffentlicht: 
24.03.2015

Von Arnold Hottinger, 24.03.2015

 

In den schwelenden Konflikten Libyens und Jemens lassen sich höchst bemerkenswerte Parallelen erkennen.

 

Libyen und Jemen weisen zur Zeit viele gemeinsame Züge auf. Beide Staaten haben neuerdings zwei Hauptstädte und zwei Regierungen: Tripolis und Tobruk in Libyen; Sanaa und Aden in Jemen.

Kämpfe, aber kein Bürgerkrieg

In beiden Staaten ist jeweils nur eines von den beiden rivalisierenden Regimen international anerkannt. Das sind aber die jeweils schwächeren, und sie beherrschen auch weniger Land als ihre Rivalen.

 

In beiden Staaten gibt es gewaltsame Kämpfe zwischen den beiden Regierungen, doch ein voller Bürgerkrieg ist noch nicht ausgebrochen.

 

In beiden Ländern versuchen die internationalen Mächte, besonders die Uno, die beiden feindlichen Regime zu versöhnen.

 

Einfluss der Uno

In beiden Ländern gelingt es der Uno, mit den Politikern der beiden feindlichen Regierungen zu sprechen. Diese zeigen in beiden Ländern hin und wieder die Bereitschaft, an Kompromisse zu denken.

 

Doch in beiden Ländern liegt die wahre Macht bei den bewaffneten sogenannten Milizen, und diese glauben, die Gegenseite besiegen zu können. Deshalb sind sie an Gesprächen nicht interessiert.

 

Beunruhigte Nachbarn

Die Nachbarn der beiden Länder, Ägypten und Saudi Arabien, sind sehr beunruhigt und nahe daran, dort einzugreifen, um zu vermeiden, dass die Unruhen ihrer Nachbarn die eigene Stabilität in Frage stellen.

 

In beiden Ländern spielen auch die politischen Gegner der Nachbarländer eine Rolle, indem sie die nicht international anerkannten Regierungen stützen. In Libyen helfen die Qataris und die Türken diskret dem Regime von Tripolis. In Jemen erhalten die Huthis Unterstüzung aus Iran. Dies droht in beiden Ländern den schon beinahe ausgebrochen Bürgerkrieg zu verschärfen, indem es ihn in einen Stellvertreterkrieg der Nachbarn und deren Gegner verwandelt.

 

Scharmützel

In beiden Ländern stehen sich die Kämpfer der verfeindeten Gruppen gegenüber, doch ist es noch nicht zu eigentlichen Schlachten zwischen ihnen gekommen. In Jemen sind die Huthis nach Taez vorgestossen und stehen damit etwa 150 km von Aden entfernt. Doch die Milizen von Aden haben ihrerseits Anhänger des Huthi Regimes in heftigen Kämpfen vom Flughafen von Aden vertrieben.

 

In Libyen ist es die Regierung von Tobruk, die meldet, ihre Armee kämpfe nun nicht nur im nahe gelegenen Bengasi, sondern auch in Tripolitanien im südlichen Hinterland von Tripolis. Doch die Regierung von Tripolis hat dies dementiert. In beiden Ländern werden Kampfflugzeuge gegen die lokalen Gegner eingesetzt. Doch sie haben bisher in beiden Ländern wenig Schaden angerichtet.

 

Separatisten und Islamisten

In beiden Ländern gibt es separatistische Bewegungen, die ihre Unabhängigkeit oder mindestens Autonomie fordern: Südjemen gegenüber Jemen, die Cyrenaika in Falle von Libyen.

In beiden Ländern gibt es auch die Dritte Kraft der extremen und gewalttätigen Islamisten, von denen sich die rivalisierenden Regime beider Länder absetzen wollen. In Jemen sind diese dritten Kräfte, die AQAP und neuerdings offenbar auch der IS, stärker eingewurzelt als in Libyen. Doch dort gibt es sie auch: der IS und Ansar al-Scharia. Die beiden "Regierungen" in beiden Ländern wollen diese Dritte Kraft bekämpfen. Doch in beiden Ländern besteht die Gefahr, dass die Jihadisten im Schatten der Kämpfe der beiden Landesregierungen Gelände und Einfluss gewinnen.

 

Drahtzieher im Hintergrund

Natürlich gibt es auch Unterschiede. In Jemen gibt es einen mit allen Wassern gewaschenen Politiker, den Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh, der die gegenwärtige Lage, haarscharf am Rande des Bürgerkriegs, weitgehend verursacht hat, weil er glaubt, sie zu seinen Gunsten ausnützen zu können. Das heisst, es gibt einen Plan hinter dem gegenwärtigen Chaos. Ob der Ex-Präsident ihn verwirklichen kann, weiss niemand.

 

In Libyen ist kein planender Kopf zu erkennen. Es sei denn, man will den General Haftar, der die Armee von Tobruk kommandiert, als einen solchen ansehen. Möglicherweise sieht er sich in dieser Rolle. Doch weder an Schlauheit noch an verborgenem Einfluss kann er sich mit seinem jemenitischen Gegenüber messen.

 

Das gebrochene Rückgrat der Armee

Dass bei allen Unterschieden der geographischen Lage, der Geschichte, der nationalen Traditionen, der Wirtschaft, so viele gemeinsame Züge zwischen den beiden Staaten entstanden sind, kann man auf die folgenden gemeinsamen oder vergleichbaren Entwicklungen zurückführen:

 

In Libyen zerbrach die Armee in den Kämpfen zwischen Aufständischen und Ghadhafi. Was übrig blieb, waren bewaffnete Banden, die nie unter eine staatliche Disziplin zu bringen waren. In Yemen gibt es noch eine Armee, doch sie wurde unbrauchbar, weil sie sich in Anhänger des alten Präsidenten und und Anhänger des neuen aufspaltete. Was übrig und wirksam blieb, waren bewaffnete Banden.

 

Eigene Dynamik

Diese Banden entwickelten ihre eigene Dynamik. Zuerst ihre engen, lokalen oder Banden-Interessen. Doch je länger sie sich aneinander rieben, desto mehr reihten sie sich ein in grössere Frontverläufe ein. Kleine Banden mussten Schutz in weiter ausgedehnten Bündnissen suchen, wenn sie überleben wollten. Ein umfassendes Bündniss aller Banden jedoch kam nicht zustande.

 

Das hätte Frieden gebracht und den Banden ihre Existenzgrundlage geraubt. Ohne Konfrontation keine Banden. Auf diesem Weg kam es über die Jahre zu zwei Bandenkoalitionen, von denen jede sich eine Regierung, eine Art Parlament und eine Hauptstadt gab.

 

Neben den Banden die Ideologen

Doch daneben gab es in beiden Staaten Keime von ideologisch motivierten Gruppen, die Jihadisten oder radikalen Islamisten, oder wie immer man sie bezeichnen will. Sie begannen als Kleingruppierungen im Untergrund, doch sie wuchsen, weil Chaos zu ihren Gunsten wirkt.

 

Jenen Menschen, die ihre Orientierung verloren haben und nicht mehr ein noch aus wissen, verschaffen sie Ordnungsvorstellungen, Zukunftsverheissungen, zu lösende und scheinbar lösbare Aufgaben, eine Art von Selbstbewusstsein und "Würde" innerhalb ihrer neuen fanatischen und radikalen Gemeinschaft.