Helma Orosz in ihrem letzten Interview als Oberbürgermeisterin Dresdens zu Pegida, Erinnerungskultur und ihren Zukunftsplänen
Dresden. Heute Nachmittag wird Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) im 
Dresdner Rathaus aus dem Amt verabschiedet. Lange hatten es die Spatzen 
schon von den Dächern gepfiffen, im Januar machte die OB ihren 
Entschluss öffentlich: Sie tritt nicht zur Wiederwahl an, sondern 
verlässt die politische Bühne vorzeitig. Nach einer schweren 
Krebserkrankung reichte die Kraft nicht mehr, um ihren Ansprüchen an 
sich selbst zu genügen, begründete die 61-Jährige ihre Entscheidung. In 
ihrem letzten Interview als Oberbürgermeisterin verrät Helma Orosz, wie 
sie die Zukunft ohne Politik plant.
  
 Was geht in Ihnen vor - Wehmut oder eher das Gefühl, eine Last zu verlieren?
 Das ist nicht immer gleich. Den einen Tag überwiegt etwas die Wehmut, 
den anderen Tag weniger. Grundsätzlich war es für mich eine Befreiung, 
als ich meine Entscheidung öffentlich gemacht habe. Solange ich den 
Entschluss mit mir herumgetragen habe, war es eine Last. Als es dann 
heraus war, hat das zusätzliche Kräfte mobilisiert. Viele Dinge wollte 
ich noch auf den Weg bringen - wie zum Beispiel die Bewerbung für die 
Kulturhauptstadt.
 Warum hat es nicht mehr bis zur Wahl im Juni gereicht? Warum treten Sie schon jetzt ab?
 Zum Ende des vergangenen Jahres war es schwieriger geworden mit meinen 
gesundheitlichen Problemen. Es gab eine klare Ansage der Ärzte. Ich 
wollte nicht mehr während des Wahlkampfes im Amt sein. Wahlkampf ist mit
 besonderem Trubel verbunden, das wollte ich mir nicht antun. Der 70. 
Jahrestag der Zerstörung Dresdens war mir aber sehr wichtig und deshalb 
habe ich den Zeitpunkt so gewählt. Wir können gemeinsam stolz darauf 
sein, wie gut dieser Jahrestag organisiert war und abgelaufen ist.
 Wann haben Sie für sich entschieden, dass es nicht mehr geht?
 Ich habe immer wieder überlegt. Ein über Jahre erhaltener 
Vertrauensbeweis der Bürgerschaft ist etwas ganz Besonderes. Ich habe 
deshalb den Entschluss lange hinausgezögert. Über ein halbes Jahr habe 
ich mich immer wieder gefragt: Kann ich die Erwartungen erfüllen? Ich 
bin ein agiler Typ, eine Kämpfernatur. Aber die Kraft reichte einfach 
nicht mehr. 
 Gab es einen konkreten Auslöser für Ihren Entschluss?
 Nachdem ich im Frühjahr 2012 von der Krankheit zurückgekehrt bin, war 
für mich klar: Jetzt musst du unbedingt wieder arbeiten. Nach anderthalb
 Jahren, Ende 2013, habe ich die Auswirkungen der Erkrankung immer mehr 
gespürt. Den Stress können sie nicht abstellen in diesem Amt. Das ist 
eine Dauerbelastung. Dazu kamen Schlafstörungen. Das ist der Hammer, 
wenn man nach 12 bis 14 Stunden Arbeit keinen Schlaf findet. Da geht 
einem die Puste aus. Ich musste mir oft sagen: Reiß dich zusammen! Aber 
es kostet viel Kraft, sich zu verstellen. Andererseits habe ich in der 
Kur schon nach drei, vier Tagen gemerkt, dass ich zur Ruhe gekommen bin.
 Stille, Spaziergänge, Behandlungen, das gab mir die Mög- lichkeit, 
wieder meinen Rhythmus zu finden.
 Haben Sie Angst, jetzt in ein Loch  zu fallen?
 Ich bin mit mir absolut im Reinen. Meine Familie freut sich, meine 
Enkel freuen sich. Die nächsten drei, vier Monate wird es gar nicht so 
einfach, eine Lücke in meinem Terminkalender zu finden. 25 Jahre lang 
war das Privatleben im einstelligen Bereich. Ich habe meine Familie 
immer wieder vertröstet. Urlaub, Wandern, Fahrrad fahren - wann war das 
möglich? Ich kann mir für die Zukunft nicht vorstellen, dass ich im 
Sessel sitze und mich be- daure. Es gibt keine problematische Stimmung 
in mir. Ich gehe so gerne ins Kino und ins Theater, darauf musste ich 
oft verzichten. Ich habe so viele Ausstellungen eröffnet, ohne sie mir 
richtig anschauen zu können. Ich möchte die Kirchen in der Stadt 
besuchen. Oder einfach mal nur an der Elbe sitzen. Einen schönen Platz 
habe ich mir schon ausgesucht.
 Sie haben den 13. Februar angesprochen. Ist es nach dem 70. Jahrestag Zeit für einen Schlussstrich unter das Gedenken?
 Ich denke, es ist wichtig, dass jede Stadt Erinnerungskultur lebt. Als 
ich 2008 gewählt wurde, gab es darüber unterschiedliche Auffassungen, 
aber keine Gemeinsamkeit. Daraus ist die Arbeitsgruppe  13. Februar 
entstanden. Die Besetzung ist ein Querschnitt der Gesellschaft. 
Ursprünglich ging es darum, Konzepte gegen die Aufmärsche von 
Rechtsextremen zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe hat ihren Beitrag dazu 
geleistet, dass es im vergangenen und in diesem Jahr keine Aufmärsche an
 dem Tag gab. Das ist ein kleiner Erfolg, den wir gemeinsam erreicht 
haben. Es geht aber darum, nicht nur den 13. Februar zu betrachten, 
sondern sich das gesamte Jahr mit dem Thema zu befassen. Wir haben 
Programme wie den Lokalen Handlungsplan für Weltoffenheit und Toleranz 
entwickelt, und der zeitweilige Ausschuss des Stadt- rates hat ein 
Erinnerungskonzept erarbeitet. Es stellt auf alle Ereignisse ab, die zur
 Geschichte der Stadt gehören. Erinnerungskultur ist nicht in Stein 
gemeißelt und kann sich weiter entwickeln. Wir haben den 13. Februar in 
der Arbeitsgruppe ausgewertet und überlegen, welche Dinge jetzt 
angegangen werden sollen. 
 Wen wünschen Sie sich als Ihren Nachfolger im Amt?
 Das wird in einer geheimen Wahl entschieden. Wichtig ist es mir, dass 
viele Dresdner zur Wahl gehen. Wir haben es leider mit einer 
Wahlmüdigkeit zu tun. Ändern kann ich aber nur dann etwas, wenn ich 
wählen gehe. Und nicht, wenn ich meine latente Unzufriedenheit auf die 
Straße trage.
 Warum funktioniert Pegida ausgerechnet in Dresden?
 Es gibt auf diese Frage wahrscheinlich keine allgemeingültige Antwort, 
sondern zahlreiche verschiedene. In Dresden und der Region haben sich 
Menschen gefunden, die mit Pegida einen Nerv getroffen haben. Dann hat 
das Ganze eine unglaubliche Dynamik bekommen, vor allem in den Medien. 
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es Leute gibt, die sich nicht 
mitgenommen fühlen, die am politischen Prozess nicht teilhaben können 
oder wollen. Wir müssen ihnen jetzt deutlich machen, dass wir wissen 
wollen, wo ihr Problem liegt. Nur im Dialog können wir etwas ändern. 
Stadt und Land agieren gemeinsam und bieten Foren an. Sie sind auch eine
 Chance für Verantwortungsträger, zuzuhören, Missverständnisse 
aufzuklären und Probleme zu erkennen. Gleichzeitig müssen wir aber gegen
 jede Form der Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit Position beziehen. 
 Wie werden Sie sich künftig in die Stadtpolitik einbringen?
 Ich werde eine aktive Bürgerin bleiben und mich schon an der einen oder
 anderen Diskussion beteiligen. Ich freue mich auch darauf, mal eine 
Sitzung des  Stadtrates zu besuchen. Als Gast natürlich. 
  Interview: Thomas Baumann-Hartwig 
