Georg Gruhl ist aktiv bei der Interventionistischen Linken, die gemeinsam mit dem kurdischen Studierendenverband YXK eine Solikampagne für Rojava initiiert hat. Mit dem 43-jährigen Berliner sprach Ines Wallrodt.
In den 80er Jahren kamen Millionen D-Mark für Waffen für El Salvador zusammen. Hätten Sie mehr erwartet als 100 000 Euro?
	Nein, davon sind wir definitiv nicht ausgegangen. Uns ging es am Anfang
 ohnehin mehr um den politischen Rahmen, als um eine konkrete Zahl. Wir 
wollten nicht einfach noch eine Demonstration oder noch eine weitere 
Podiumsdiskussion machen, sondern mit der Spendenkampagne darüber hinaus
 gehen.
	Wie kam die Summe zusammen?
	Einen Teil haben wir selbst auf den Tisch gelegt. Ansonsten stammt das Geld aus Veranstaltungen, Konzerten oder Partys für Rojava
 und aus ganz viele kleinen Einzelspenden. Unseren Solidaritätsaufruf 
haben Hunderte Menschen unterstützt, darunter Prominente wie der 
Schriftsteller Ilja Trojanow, die Soziologin Frigga Haug und der 
Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow.
	Wie wurde das Geld überreicht - sind Sie wie früher mit einem Koffer Bargeld losgefahren?
	Bislang haben wir die erste Hälfte von 50 000 übergeben. Das lief über 
eine politische Organisation in Deutschland direkt an die 
Selbstverteidigungskräfte in der Region. Deren Sprecher, Rêdûr Xelîl, 
hat uns den Eingang schriftlich bestätigt. Welche verschlungenen Wege 
das Geld geht, ob es die ominösen Koffer sind oder nicht, lasse ich mal 
dahingestellt.
	Was wurde mit dem Geld bezahlt?
	Das wissen wir nicht.
	Interessiert Sie das gar nicht?
	Wichtig war uns eine Rückmeldung, dass das Geld angekommen ist. Was die
 Selbstverteidigungskräfte damit machen, ist ihnen überlassen. Es war 
klar, dass es Medizin, Klamotten, Nachtsichtgeräte, bis hin zu Waffen 
und Munition sein könnten.
	Haben Sie diese Frage in Ihrem Spendenaufruf offen gelassen, um Diskussionen zu vermeiden?
	Wir wollten nicht direkt Geld für Waffen sammeln, weil damals auch über
 Waffenlieferungen aus Deutschland an die Peschmerga diskutiert wurde. 
Es hätte für die gesellschaftliche Linke problematische Folgen, wenn sie
 da mit eingestimmt hätte. Auf der anderen Seite wollten wir sagen, die 
Revolution in Rojava wird bewaffnet verteidigt. Deshalb sollen die Selbstverteidigungskräfte das Geld kriegen.
	Kobane ist befreit, aber zu großen Teilen zerstört. In der Region 
wird weiter gekämpft. Haben die emanzipatorischen Ansätze unter diesen 
Bedingungen wirklich eine Chance?
	Ich würde diese Frage auch nicht einfach mit »klappt schon« beantworten
 wollen. So ein Krieg macht nicht nur etwas mit den Gebäuden, sondern 
auch mit den Menschen. In Kobane beginnt dennoch das zivile Leben 
wieder. Es ist ein wichtiges Symbol, zudem ist die Situation in den 
Flüchtlingslagern ebenfalls prekär. Ob es gelingt, die alte Offenheit zu
 bewahren, wird die Zeit zeigen.
	Wäre nicht ein Aufruf, sein Leben zu retten und zu flüchten, statt militärisch zu kämpfen, eine Alternative gewesen?
	Das hat für uns nie zur Debatte gestanden. Einen Monat zuvor war es den
 Selbstverteidigungskräften gelungen, die Menschen aus dem 
Shengal-Gebirge zu retten. Diese Solidarität hat uns stark angesprochen.
 Zudem bietet die Revolution in Rojava eine 
Perspektive für Gerechtigkeit und Frieden im gesamten nahen und 
mittleren Osten, vielleicht sogar darüber hinaus. Das wäre verloren 
gegangen, wenn die Leute geflüchtet wären. Der dritte Grund für unsere 
Initiative war, dass wir in der BRD eine massive Mobilisierung der 
kurdischen Bewegung auf der Straße erlebt haben. Hier konnte eine 
radikale Linke nicht einfach zuschauen.
	Was unterscheidet Ihren Internationalismus von dem zur Zeit des 
Ost-West-Konflikts, als mit den Revolutionen in Lateinamerika die 
Hoffnung verbunden war, dass sie demnächst die BRD erfassen könnten.
	Man hat damals zu viel auf die Situation dort projiziert. Ich würde 
heute sagen, eine radikale Linke in Europa wird ohne internationale 
Solidarität in Metropolen-Chauvinismus versinken. Gesellschaftliche 
Veränderungen haben in Europa nur dann eine Chance, wenn wir uns mit den
 emanzipatorischen Kämpfen weltweit verbinden.
	Viele Kämpfe finden unter ganz anderen politischen Bedingungen statt. Was können sie zu den Auseinandersetzungen hier beitragen?
	Die berühmte Frage der Gleichzeitigkeit der Kämpfe... Es gibt immer 
Momente, wo das funktioniert. Aber dann klafft es wieder auseinander. 
Dessen muss man sich bewusst sein, sonst wird man schwere Enttäuschungen
 erleben. Das Besondere an der kurdischen Bewegung ist ja aber - im 
Unterschied zu Lateinamerika damals -, dass sie in Europa selber präsent
 ist. Viele kurdische Menschen leben hier. Die Jugend- und 
Studierendengruppen sind auch Teil der gesellschaftlichen Linken in der 
BRD und nicht einfach verlängerter Arm der kurdischen Bewegung in der 
Türkei oder Rojava. Deshalb war es uns 
wichtig, diese Initiative nicht als Interventionistische Linke für die 
kurdischen Genoss/inn/en zu machen, sondern mit dem kurdischen 
Studierendenverband zusammen.
	Soll die Solikampagne weitergehen?
	Ja, sie geht weiter - schon, weil sie für einige Gruppen vor Ort ein 
Schwerpunkt der politischen Arbeit geworden ist und der Spendenzufluss 
bis heute nicht versiegt ist. Eine wichtige Auseinandersetzung der 
nächsten Monate wird die Aufhebung des PKK-Verbots sein. Man muss 
festhalten: Wir sind mit unserer Solikampagne von einem sehr schwachen 
Boden aus gestartet. Es war ja nicht so, dass die kurdische Frage uns 
vorher massiv beschäftigt hätte. In dieser Hinsicht hat uns die 
Initiative voran gebracht.
