"Wir stehen vor einem polizeilichen Notstand"

Erstveröffentlicht: 
17.01.2015

Für Gewerkschafter Hagen Husgen ist die Schmerzgrenze erreicht

 

In den vergangenen acht Tagen ging es für Leipzigs Polizei an die Schmerzgrenze. Erst der Angriff von Linksextremisten auf den Connewitzer Polizeiposten, dann der Großeinsatz rings um die erste Legida-Demonstration und nun auch noch der Gewaltexzess Hunderter Linksautonomer. Die LVZ sprach darüber mit Hagen Husgen, dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen.


Wie lange hält die Polizei das durch?


Nicht mehr lange! Wir können bald nicht mehr alle Großeinsätze absichern. Die Arbeitszeitvorschriften konnten schon voriges Jahr nicht mehr eingehalten werden. Die Kollegen mussten ins Jahr 2015 schon mehr Stunden übernehmen, als arbeitsrechtlich gestattet ist. Das geht auch nur über Ausnahmegenehmigungen, aber irgendwann ist damit auch Schluss. Was die Stunden, aber auch die körperliche Belastung anbelangt, stoßen die Kollegen schon jetzt an ihre Grenzen.


Was heißt das für die nächsten Großereignisse, wenn etwa kommende Woche womöglich Zehntausende Legida-Anhänger über den Innenstadtring ziehen und gewaltbereite Linksautonome Störaktionen planen?


Ich mache mir Sorgen um die Gesundheit der Kollegen und der Teilnehmer. Solche Demonstrationen sind sehr brisant, bergen ein hohes Gewaltpotenzial. Da bedarf es nur eines Funkens, dass irgendwas hochgeht.


Deshalb ist die Polizei regelmäßig mit einem Großaufgebot vor Ort. Bei der ersten Legida-Demo gab es keine schweren Ausschreitungen.


Vorigen Montag waren etwa 1300 Polizeibeamte in Dresden und 1800 in Leipzig. Diese Stärke können wir niemals allein mit der sächsischen Polizei stellen, so viele Kräfte haben wir nicht einmal bei der Bereitschaftspolizei. Deshalb kamen dort viele Kräfte aus anderen Bundesländern zum Einsatz, beispielsweise aus Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Aber es ist fraglich, ob wir weiterhin in dieser Größenordnung Unterstützung aus anderen Bundesländern bekommen.


Weshalb?


Diese Bundesländer sind jetzt ebenfalls mit einem Demonstrationsgeschehen konfrontiert, wie wir es in Leipzig und Dresden haben. Und mit eigenen Kräften können wir in Sachsen solche Veranstaltungen nicht mehr absichern.


Was bedeutet das konkret?


Wir können unter diesen Umständen nicht mehr für Sicherheit sorgen, können nicht jedem Einzelnen garantieren, dass er aus solchen Versammlungen und Demonstrationen heil wieder rauskommt. Jeder, der an einer solchen Versammlung teilnimmt, muss wissen: Wenn ich nur eine begrenzte Zahl an Polizeibeamten habe, ist nicht mehr für jeden einzelnen Teilnehmer eine hundertprozentige Sicherheit gegeben. Diese Aussage tut weh, spiegelt aber die Realität wider. Die Versammlungsbehörde der Stadt muss das beachten, trägt ebenfalls eine hohe Verantwortung. Sie kann nur Versammlungen zulassen, bei denen die Sicherheit gewährleistet werden kann.


Neben den zahlreichen Demonstrationen sorgen zunehmend Aktionen der linksextremen Szene regelmäßig für Großeinsätze. Wie erklären Sie sich das?


Leipzigs ohnehin große und aktive linksautonome Szene hat beispielsweise durch Legida und Pegida zusätzlichen Aufschwung bekommen. Diese Plattform wird ausgenutzt, was auch zunehmende Gewalt gegenüber der Polizei einschließt.


Was muss getan werden?


Wir stehen auch in Leipzig vor einem polizeilichen Notstand. Ich warne seit mindestens einem Jahr davor. Bisher wurde das nicht gehört, doch jetzt ist es fast zu spät. Wenn die Politik nicht wach wird, was die Stärkung der Polizei und die Sicherheit im Freistaat betrifft, dann sehe ich schwarz. Personalabbau in der sächsischen Polizei: Ein untauglicheres Mittel gibt es nicht! 

 

Interview: Frank Döring

 


 

Stimmen


Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): "Wir akzeptieren keine Gewalt, weder von linken Kriminellen, noch von Rechtsextremen, noch von religiösen Fanatikern. So etwas hat mit einer politischen Auseinandersetzung nichts zu tun. Ich danke den Polizisten, die unter schwierigen Bedingungen mit höchstem Engagement ihren Dienst versehen. Das Personal aber muss dringend aufgestockt werden. Wir brauchen mehr Polizisten. Der Innenminister ist aufgefordert, für eine auskömmliche Personaldecke zu sorgen."


Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU): "Ich verurteile die militanten Aktionen von extrem gewalttätigen Stimmungsmachern in der Leipziger Innenstadt. Wenn friedfertiger Protest umschlägt in einen derartigen Ausbruch von Gewalt, muss und wird sich der Staat konsequent dagegenstellen."


Andreas Nowak, CDU-Landtagsabgeordneter aus Leipzig: "Ich habe den Aufzug selbst gesehen. Da ist eine Horde durch die friedliche Südvorstadt gezogen und hat wild randaliert und so Angst und Schrecken verbreitet. Das ist ein Angriff auf die Freiheit eines jeden Leipzigers und unserer Gäste."


Valentin Lippmann, Innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag: "So sehr ich die Wut und Trauer über den Tod von Khaled Idris Bahray verstehe, bei gewalttätigen Randalen hört mein Verständnis auf. Derartige Aktionen erschweren massiv die Arbeit und das Engagement all derer, dich sich friedlich und mit demokratischen Mitteln engagieren, um Pegida & Co. die Stirn zu bieten und für eine weltoffene Gesellschaft einzutreten. Wir alle sind aufgefordert, die sich abzeichnende Spirale der Gewalt zu durchbrechen."


Hassan Soilihi Mzé, Vorsitzender der Leipziger SPD: "Was sich im Süden unserer Stadt abgespielt hat, ist nach dem erst kürzlich erfolgten Übergriff auf den Polizeiposten Connewitz ein weiteres Armutszeugnis von Leipzigs linksextremer Szene und durch absolut nichts zu rechtfertigen. Verwüstung und Gewalt haben mit Solidarität nichts zu tun und sind das Letzte, was Asylsuchende brauchen. Wir erleben gerade, wie beide politischen Extreme versuchen, aus Feindschaft gegenüber unserer offenen Gesellschaft Flüchtlinge für ihre Zwecke zu missbrauchen."


Achim Haas, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Stadtrat: "Es ist an der Zeit, dass die Stadtgesellschaft linker Gewalt den gleichen Widerstand entgegenbringt wie den Legida-Aufmärschen."


Siegbert Droese, Vorstandsvorsitzender des AfD-Kreisverbandes Leipzig: "Wir fordern von Oberbürgermeister Burkhard Jung und der ,Allianz der Guten': Verlassen Sie Ihren Holzweg. Machen Sie sich nicht länger gemein mit diesen linken Terroristen. Treten Sie in einen Dialog mit den Bürgern bei Legida. Noch ist ein Dialog möglich."