Baskischer Folterbericht

Folter im Baskenland

Die baskische Regierung hat eine Untersuchung von Folterfällen in Auftrag gegeben. Untersucht werden sollen exemplarisch 200 bis 400 angezeigte Fälle aus dem Zeitraum von 1960 bis 2013. Die Untersuchung wurde von der Regierung vorgeschlagen und vom Parlament beschlossen, mit mehr als 2/3-Mehrheit, nur die rechte PP stimmte dagegen. Denn für die PP gab es nie systematische Folter. Die bewiesenen und verurteilten Fälle gingen nur auf übereifrige Polizisten zurück. Und wurden alle schnell begnadigt. Kenner der politischen Situation gehen davon aus, dass es im benannten Zeitraum bis zu 10.000 Fälle von Misshandlung in Polizeigewahrsam gegeben haben könnte. Das ist die Ausgangslage für die Untersuchung. Von Dunkelziffern, die noch höher liegen, soll hier nicht die Rede sein. 

 

Bereits vergangenen März beauftragte die baskische Regierung ein Team von Forensiker/innen unter der Leitung des (auch in Spanien) überaus angesehenen Anthropologen und Gerichtsmediziners Francisco Etxeberria mit der Durchführung der Studie. Dieses Team hat zwischenzeitlich die Grundlagen für die Studie erarbeitet, die in den nächsten zweieinhalb Jahren durchgeführt werden soll. In der vergangenen Woche wurden sie dem Sekretariat für Frieden und Koexistenz der baskischen Regierung übergeben.


Ziel der Studie ist es, den tatsächlichen Umfang der Folter im Baskenland in den letzten 50 Jahren festzustellen. Navarra ist zwar ebenfalls eine (massiv von Folter betroffene) baskische Region, die Regierung von Gasteiz hat dort jedoch keine Handhabe, die dortige Regierung kein Interesse an einer solchen Studie. Die Schlussfolgerungen der Studie werden für Ende 2016 erwartet, sie sollen die Grundlage bilden für eine Politik der offiziellen Anerkennung, die Wiedergutmachung und von Prävention von Folter.


Die Untersuchung hat nicht zum Ziel, eine umfassende Bestandsaufnahme von polizeilichen Misshandlungen zu erstellen. Stattdessen soll sie exemplarisch Fälle untersuchen, die besonders auffällig waren und die sich relativ gut “beweisen“ lassen. Denn das wird der springende Punkt werden, dass nämlich die spanischen Behörden und die Polizei selbst (Nationalpolizei und Zivilgarde) mit Sicherheit nichts von “angeblicher“ Folter wissen wollen. Im Vordergrund werden also jene Fälle stehen, in denen Folter und Missbrauch vor Gericht bewiesen werden konnten, oder bei denen die Opfer an den Folgen der Misshandlungen starben. Darüber hinaus sollen Opfer und Angehörige von Opfern befragt werden.


Ziel der Untersuchung soll sein, eine Fallzählung zu machen und eine Klassifizierung nach Geschlecht, Alter der Opfer, sowie nach Region und Grund der Verhaftung, der Situation der Verhafteten im Polizeigewahrsam (Kontaktsperre, Videoobservation). Außerdem sollen die Polizeieinheiten kategorisiert werden, die die Verhaftung durchgeführt haben.


Eine gewisse Brisanz steckt im zu untersuchenden Zeitraum 1960 bis 2010. Offiziell endete die faschistische Diktatur in Spanien mit dem Tod Francos und dem sogenannten Übergang (transición) in eine monarchistische Demokratie. Die Forschungsarbeit wird in vier Perioden eingeteilt: von 1960 bis 1978, von 1978 bis 1990, von 1991 bis 2000, und von 2001 bis 2013. Die Definition des ersten Zeitraums ist offensichtlich. Denn nach dem Tod Francos ging die Repression ungebremst weiter und richtete sich neben militanten Bask/innen vor allem gegen streikende Arbeiter/innen. Das Jahr 1977 war jenes der Amnestie für politische Gefangene und die faschistischen Verbrechen, 1978 wurde die Verfassung des spanischen Staates verabschiedet. Die anderen Zeitspannen sind weniger nachvollziehbar.


Aus den 200 bis 400 zu untersuchenden Fällen werden etwa 40 exemplarisch ausgewählt, dabei soll es sich um besonders evidente oder emblematische Fälle handeln. An ihnen soll die “menschliche Erfahrung der Opfer“ beschrieben werden. Dargestellt werden sollen die persönlichen Folgen der Folter, die gesellschaftlichen und institutionellen Reaktionen auf diese Fälle, sowie der Einfluss des Erlittenen auf das Leben der Opfer. Daneben werden Daten gesammelt über die medinzinische und psychologische Bewertung der Fälle.


Aufgrund dieser Arbeit soll ein Bericht mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen erstellt werden, die sich an internationalen Erfahrungen und Standards misst, was Forschung, Anerkennung, Wiedergutmachung und Verhinderung von Folter und Misshandlung anbelangt.


Dieser Projektvorschlag, der dem baskischen Parlament zugeleitet wurde, ging zur Bewertung auch an die Kommission zur Verhütung von Folter des Europarates. Der Regierungsbeauftragte für Friedens und Koexistenz, Jonan Fernandez, hatte im März dem Präsidenten dieser Organisation, Latif Hüüseinof die Initiative vorgestellt und dabei von dieser Stelle Komplimente erhalten.


Für die baskische Regierung ist die Studie ein weiterer Schritt bei der Aufarbeitung des Konflikts und den Folgen für Opfer auf allen Seiten. Dass der Untersuchungs-Zeitraum mit dem Jahr 1960 beginnt, also mit der Gründung von ETA, ist ein dunkler Fleck des Vorhabens, weil daraus gefolgert werden könnte, dass es keinen Grund gibt, die Ereignisse vorher ebenfalls zu untersuchen. Die baskische Linke (EH Bildu) hat dem Vorhaben dennoch zugestimmt.


Brisant könnte es werden, wenn die Untersucher/innen sich an Fälle von Misshandlung durch die baskische Polizei heranwagen sollte. Viele Fälle sind es zwar nicht, doch haben die baskischen Regierungen immer reagiert wie die spanischen: leugnen. Dass die Studie einen gründlichen Charakter haben wird, daran haben auch linksbaskische Kreise keine Zweifel: die beauftragten Expert/innen sind allesamt Koryphäen und haben sich in der Vergangenheit mit entschiedenem Eintreten gegen Folter einen Namen gemacht.


Die bei der künftigen Präsentation des Berichts amtierende spanische Regierung wird das Ergebnis einen feuchten Kehrricht interessieren. Für sie gab es Folter nie, alle entsprechenden Anzeigen gingen darauf zurück, dass ETA die Anweisung gegeben haben soll, solche falschen Anzeigen zu machen, um das Bild der Polizeikörper zu schädigen. Ein Argument aus der totalitären Kategorie: Gernika wurde von den republikanischen Horden angezündet. Auch diese Lüge wurde nie zurück genommen.


Wie es die spanische Regierung mit “offiziell anerkannten Opfern polizeilicher Gewalt“ hält, zeigt sie augenblicklich: sie hat alle Wiedergutmachungs-Zahlungen storniert mit der Begründung, all jene Opfer gehören zum Umfeld von ETA.


Erinnert werden muss in diesem Zusammenhang an die Klage wegen franquistischer Verbrechen gegen Menschlichkeit, die in Argentinien anhängig ist, weil sie aufgrund der 77er-Amnestie im spanischen Staat nicht möglich ist. Dort stehen neben wenigen noch lebenden Franco-Ministern zwei bekannte Folterer im öffentlichen Blickfang. Die wurden überraschend vom politischen Sondergericht in Madrid vorgeladen. Dabei wurde deutlich, dass sogar die Staatsanwaltschaft von der Richtigkeit der Foltervorwürfe ausgeht. Einem Auslieferungsantrag will man dennoch nicht nachkommen, “weil das alles schon verjährt und amnestiert ist“. Aber: Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren erstens nicht, zweitens ist die 77er-Amnestie aufr´grund der internationalen Gesetzgebung illegal.


Eine wichtige Vorarbeit für die Untersuchung über Folter im Baskenland hat die Stiftung Euskal Memoria bereits vor zwei Jahren geliefert. Unter dem Titel “La tortura en Euskal Herria“ (Folter im Baskenland) hat sie ein umfassendes Foto gemacht, auf das die Regierungsstudie zurückgreifen könnte. Wahrscheinlich werden sie es nicht tun, weil das Buch ebenfalls nicht dem Vorwurf entkommen könnte, aus dem genannten Umfeld zu stammen. Geschrieben hat es einer, der im baskischen Anti-Folter-Komitee TAT jahrelange Dokumentationsarbeit geleistet hat, Julen Arzuaga. Nur knapp entging er den Häschern von “Alles ist ETA“, heute sitzt er für die linke EH Bildu im baskischen Parlament – so eng liegen die Welten im Baskenland nach wie vor nebeneinander. (Redaktion Baskinfo)


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