[B] Rütli-Frösche im Widerstand

Wir haben die Schnauze voll!

Über ein Jahrzehnt friedlich und nichts hat sich geändert - Jetzt reichts! Kommuniqué der Rütli-Frösche Kommuniqué der Rütli-Frösche

Seit mehreren Jahren stehen wir am Eingang des Rütli-Campus. Ihr habt uns hier hin gestellt und bunt angemalt. Wir waren das Erste, das zahllose Menschen sahen, wenn sie den Campus betreten haben und ihr wart stolz darauf. Wir waren das Symbol für die Befriedung dieser Schule und dieser Straße. Friedlich und stumm sollten wir hier sitzen und alle Menschen willkommen heißen, in dieser wunderschönen, neuen und vor allem friedlichen Schule.

 

 

Zu Beginn haben wir auch geglaubt was ihr gesagt habt. Das jetzt alles besser und schöner wird. Das die Befriedung der Rütli-Schule exemplarisch für ein besseres und schöneres Leben für alle Menschen im Reuterkiez und ganz Neukölln wird.

 

Doch geändert hat sich nicht viel. Im Gegenteil. Unter der vielen neuen Farbe, den schönen Fassaden und den Vorzeigeprojekten findet sich immer noch die selbe Scheiße wie zuvor.

 

Anstatt den Menschen ein wirklich besseres Leben zu ermöglichen, in dem jede*r sich nach den eigenen Vorstellungen entfalten und ein erfülltes Leben erfahren darf, habt ihr die Fassaden erneuert, ein paar Kunstwerke aufgestellt und versucht, mit verstärkten Polizeikräften und privaten Sicherheitsfirmen eine Illusion von Frieden und Sicherheit zu errichten.

 

Die Menschen, um die es eigentlich gehen sollte, haben davon nicht viel. Im Gegenteil, sie sind euch dabei vollkommen egal. Eure Befriedungs- und Sauberkeitsoffensive hatte den einzigen Effekt darin, dass der zuvor verrufene und „gefährliche“ Kiez auf einmalvermarktet werden konnte. Die Probleme der Menschen, die Angst davor keine Miete zahlen zu können, sich nichts – außer dem lebensnotwendigsten – leisten zu können, ausgeschlossenen von kulturellen Angeboten und sozialer Teilhabe und zu stumpfsinniger, unnötiger Arbeit gezwungen zu sein, habt ihr unangetastet gelassen und sie existieren immer noch. Eure Ignoranz konntet ihr euch leisten, denn bevor die Wut darüber hochkochen konnte, haben andere darfür gesorgt, dass sie sich nicht entlädt. Und in den seltenen Fällen, in denen sich doch ein Funken zeigte, wurde sie von Bullen niedergeknüppelt, in Pfefferspray ertränkt und in lähmender Angst und Hoffnungslosigkeit erstickt. Ohne den verruchten und gefährlichen Ruf, aber immer noch im alternativen Flair war der Kiez plötzlich begehrt. Und so wurden die Probleme – gemeinsam mit den Menschen, die sie hatten – einfach verdrängt. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Und auch die neuen Bewohner*innen beschäftigen viele ähnliche und andere Probleme. Und bevor sich deren Wut in Widerstand wandelt, werden auch sie verdrängt. Eine (scheinbar) unendliche Geschichte.

 

Als wir begannen darüber nachzudenken und genauer auf das zu achten, was um uns herum passiert, stellten wir erschrocken fest, dass es keineswegs das Schicksal Neuköllns ist, oder der böse Wille einiger hartherziger Spekulant*innen oder Politiker*innen. Wir sahen das selbe in Kreuzberg, in Friedrichshain, in Mitte, im Wedding, im Prenzlauer Berg...und nach und nach in ganz Berlin, ebenso wie in Spanien, Brasilien, Chile, Slowenien...auf der ganzen Welt. Und, dass es das System ist, welches genau und nur so funktioniert, und sich durch ersetzbare Marionetten erhält und präsentiert.

 

Und wir sahen nicht nur Verdrängung. Wir sahen Rassismus in allen gesellschaftlichen Schichten. Zeitungen die gegen Geflüchtete hetzten, Menschen, die in ihren geheizten Wohnungen saßen, und sich über Unrat, Dreck und die elenden Eindrücke empörten, mit denen die vielen Camps, Hungerstreiks und Aktionen der kämpfenden Geflüchteten ihr Bild einer heilen Welt beschmutzten. Wir sahen Nazis auf der Straße, die Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen beleidigten, attackierten und umbrachten. Demokrat_Innen, die ebenfalls nationalistisch und rassistisch sind, daneben stehen, zur Gewaltlosigkeit aufrufen, sich selbst und ihre „Toleranz“ abfeiern und anschließend ihren mörderischen Alltag wieder aufnehmen. Politiker*innen, die – in tiefster Sorge um städtisches Ansehen, wirtschaftliches Wachstum und die Grünflächennutzungsordnung – zunächst versuchten alles zu ignorieren und dort, wo sie es nicht mehr konnten, möglichst schnell alles zu beenden, was die Totenruhe stört. Und schließlich Bullen, die - im Namen der Verfassung und der Demokratie - Nazis den Weg frei und antifaschistische, linke und anarchistische Demos nieder prügeln.

Wir sahen Polizei, Ordnungsamt, Sicherheitsdienste und Kontrolleure an allen Ecken und Enden. Die denen, die auf der Gewinnerseite des Spiels stehen, ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und denen – die sowieso zu wenig zum Leben haben – selbiges schwer machen. Die Menschen, aufgrund äußerer Merkmale ständig kontrollieren und unter Generalverdacht stellen. Menschen, die mangels Geld und Alternativen ihre Freizeit im Freien verbringen müssen, gängeln und alles reglementieren, verbieten und kontrollieren. Menschen, die sich sowieso keine Tickets leisten können (oder wollen) – aber dennoch am Leben und dadurch eben auch am Nahverkehr – teilhaben wollen und müssen durch Kontrollschikanen, Geldbußen und Gefängnisstrafen noch weiter erniedrigen, als sie es sowieso schon sind.

 

Und selbst nach soviel Text fallen uns noch so viele, genau so ekelhafte Dinge ein: Sexismus, Antisemitismus, Homo- und Transphobie, Rechtspopulismus oder Sozialchauvinismus a la Sarrazin. Frosch kann gar nicht so viel fressen wie Frosch kotzen möchte.

 

Darum schütteln wir unsere aufgezwungene Friedlichkeit ab. Wir haben uns entschieden aktiv und widerständig zu werden.

Auf Grund all der Gewalt die um uns herum geschieht, sehen wir keine Möglichkeit der friedlichen, pazifistischen Veränderung. Wir bleiben friedliebend, doch hier wird die Friedlichkeit zur verabscheuungswürdigen Ignoranz. Hier, in dieser kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben, ist der Alltag tödlich. Der luxeriöse Lebensstil wird nur Dank (Kinderarbeit), Lohnsklaventum, Unterdrückung, Abstumpfung, blindem Gehorsam und blanker Gewalt aufrecht erhalten.

 

Wir fordern nichts, außer die restlose Zerstörung eurer kranken Welt. Wir werden solange widerständig bleiben, bis die Gesamtscheiße aufhört, bis das schöne Leben für jeden kein abstraktes Versprechen mehr ist, sondern Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit in der wir die Dinge tun können, die uns wirklich erfüllen, in der wir das tun können, was wir uns erträumen und wünschen und in der wir in gegenseitiger Hilfe und Solidarität leben, nicht in Konkurrenz, Neid und Hass, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität und allen anderen, willkürlichen Trennlinien.

 

Ganz nach dem Motto: „Das Spektakel versucht uns furchtbar aussehen zu lassen. Doch wir versuchen viel schlimmer zu sein.“ sagen wir: Wir haben die Schnauze voll!

 

Hoch die antinationale Kriminalität und für den Anarchismus – alles andere ist Quaaak!